Link zum Youtube-Video, welches das Urteil detailliert bespricht Die Suva bezahlte für einen verunfallten Arbeitnehmer die Taggelder an den Arbeitgeber aus. Dieser leitete die Taggelder nur teilweise an den Arbeitnehmer weiter und behielt rund Fr. 15’000.00 zurück mit der Begründung, er hätte noch eine offene Forderung gegen den Arbeitnehmer (Verrechnung). Eine solche Verrechnung ist nach […]
Die Suva bezahlte für einen verunfallten Arbeitnehmer die Taggelder an den Arbeitgeber aus. Dieser leitete die Taggelder nur teilweise an den Arbeitnehmer weiter und behielt rund Fr. 15’000.00 zurück mit der Begründung, er hätte noch eine offene Forderung gegen den Arbeitnehmer (Verrechnung).
Eine solche Verrechnung ist nach dem Unfallversicherungsgesetz unzulässig. Die Taggelder der Unfallversicherung haben den Zweck, den durch den Unfall verursachten Lohnausfall auszugleichen. Ein Rückbehalt resp. eine Verrechnung mit anderen Forderungen durch den Arbeitgeber würde diesem Zweck widersprechen und wurde deshalb als unzulässig erachtet.
Anmerkungen: Das Verbot der „Verrechnung“ ist Ausfluss des Grundsatzes, dass die Taggelder der Unfallversicherung (und auch Krankentaggelder) den Versicherten zukommen müssen. Erst wenn die Taggelder bei den versicherten Personen „angekommen“ sind, ist die Versicherung von ihrer Leistungspflicht befreit. Insofern haben die Versicherten eine sehr starke Stellung gegenüber den Versicherungen und den Arbeitgebern in Fällen von Arbeitsunfähigkeiten.
Werden die Taggelder fälschlicherweise anderweitig verwendet und „kommen bei den Versicherten nicht an“ können diese von den Versicherungen nochmals gefordert werden. Diese haben ein Doppelzahlungsrisiko. So war es auch im vorliegenden Fall. Die Suva hat dann die doppelt bezahlten Taggelder vom Arbeitgeber zurückgefordert.
Praxisempfehlung: Wenn ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin Unfall- und Krankentaggelder nur unzuverlässig weiterleitet, wenden Sie sich an die Versicherung und fordern Sie die direkte Ausrichtung der Taggelder.
Urteil BGer 8C_742/2021 vom 4. März 2022 (zur Publikation vorgesehen)
In einem neuen Urteil hatte sich das Bundesgericht wieder einmal mit der Frage zu beschäftigen, in welchen Fällen bei unregelmässig beschäftigten Teilzeiterwerbstätigen auch eine Nichtberufsunfallversicherung besteht. Nach Art. 13 Abs. 1 UVV sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur dann auch gegen Nichtberufsunfälle versichert, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit bei einem Arbeitgeber mindestens acht Stunden beträgt. Bei […]
Nichtberufsunfallversicherung bei unregelmässig beschäftigten Teilzeiterwerbstätigen
In einem neuen Urteil hatte sich das Bundesgericht wieder einmal mit der Frage zu beschäftigen, in welchen Fällen bei unregelmässig beschäftigten Teilzeiterwerbstätigen auch eine Nichtberufsunfallversicherung besteht. Nach Art. 13 Abs. 1 UVV sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur dann auch gegen Nichtberufsunfälle versichert, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit bei einem Arbeitgeber mindestens acht Stunden beträgt.
Bei regelmässig beschäftigten Arbeitnehmern bereitet die Abklärung, ob diese notwendigen acht Stunden pro Woche erreicht sind oder nicht, in aller Regel keine grossen Schwierigkeiten. Bei unregelmässig Beschäftigten, insbesondere bei im Stundenlohn Angestellten, können sich hier hingegen Fragen der Berechnungsweise ergeben. Mit genau einem solchen Fall hatte sich das Bundesgericht kürzlich auseinanderzusetzen.
Das Bundesgericht erinnerte hier an seine bisherige diesbezügliche Rechtsprechung. Ob eine unregelmässig teilzeitbeschäftigte Person die Minimalgrenze von wöchentlich acht Arbeitsstunden erreicht, um für Nichtberufsunfälle versichert zu sein, kann aufgrund der Berechnungsmethode bestimmt werden, die die Ad-hoc-Kommission Schaden UVG in der Empfehlung Nr. 7/87 vom 4. September 1987 (Revision vom 5. April 2019) vorschlägt. Auch wenn diese Empfehlung das Gericht grundsätzlich nicht bindet, sieht sie nach Ansicht des Bundesgerichts einfach anzuwendende Kriterien vor und ermöglicht eine Gleichbehandlung der Versicherten, weshalb das Bundesgericht sich auf diese Regelung stützt und diese anwendet.
Nach dieser Empfehlung Nr. 7/87 ist nach Möglichkeit die durchschnittliche Beschäftigung im dem Unfall vorausgegangenen Jahr zu betrachten. Die Berechnung erstreckt sich über die letzten drei oder zwölf Monate vor dem Unfall, wobei die für den Versicherten günstigere Variante zählt (Ziff. 1). Die weiteren Ziffern der Regelung enthalten weitere Details zur Berechnung in Spezialfällen. Es Grundsätzlich ist somit also für die Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit in einer massgeblichen 3- oder 12-monatigen Periode vor dem Unfall nur effektive Arbeitswochen zusammenzurechnen, um zu eruieren, ob die Schwelle von acht Stunden pro Woche für die Nichtberufsunfallversicherung erreicht wurde. Diese Schwelle war im vorliegenden Fall weder in den letzten drei noch in den letzten zwölf Monaten erreicht, weshalb keine Nichtberufsunfalldeckung bestand.
Bei unregelmässig Beschäftigten in Kleinstpensen ist daher zu empfehlen, diese Regelung der Ad-hoc-Kommission im Auge zu behalten, und sollte sich zeigen, dass inskünftig das Pensum unter die Acht-Stunden-Schwelle fällt resp. bereits darunter liegt, entsprechende Vorkehrungen zu treffen sind und der Unfallversicherungsschutz über die Krankenversicherung abzuschliessen ist.
In einem laufenden IV-Verfahren, in dem noch Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit vorgenommen werden, besteht unter gewissen Voraussetzungen eine sogenannte Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung. Rechtsprechungsgemäss besteht diese Vorleistungspflicht dann, wenn eine versicherte Person gesundheitlich bedingt in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, aber in der Lage ist, eine angepasste Tätigkeit zu einem Pensum von mindestens 20 Prozent anzunehmen. In […]
Vorleistungspflicht: Unterschiedliche Beurteilungen der Arbeitsfähigkeit – IV und ALV lehnen ab. Wer ist leistungspflichtig?
In einem laufenden IV-Verfahren, in dem noch Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit vorgenommen werden, besteht unter gewissen Voraussetzungen eine sogenannte Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung. Rechtsprechungsgemäss besteht diese Vorleistungspflicht dann, wenn eine versicherte Person gesundheitlich bedingt in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, aber in der Lage ist, eine angepasste Tätigkeit zu einem Pensum von mindestens 20 Prozent anzunehmen. In diesem Fall richtet die Arbeitslosenversicherung die volle Arbeitslosenentschädigung aus. Der Zweck der Vorleistungspflicht liegt darin, für die Zeit, in welcher der Anspruch auf Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht feststeht (Schwebezustand), Lücken im Erwerbsersatz zu vermeiden. Nach abgeschlossenem IV-Verfahren erfolgt sodann je nach Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eine definitive Aufteilung der Leistungspflicht zwischen der Invalidenversicherung und der Arbeitslosenversicherung.
Diese Voraussetzung der angepassten Arbeitsfähigkeit von mindestens 20 % besteht, weil eine Voraussetzung des Leistungsanspruchs gegenüber der Arbeitslosenversicherung die Vermittlungsfähigkeit ist, was auch im Rahmen der Vorleistungspflicht erfüllt sein muss.
Während dem laufenden IV-Verfahren stellen sich aber immer auch Abgrenzungsfragen. Insbesondere die Frage, auf welche Beurteilung der Arbeits(un)fähigkeit abzustellen ist, wenn unterschiedliche Beurteilungen, beispielsweise zwischen den behandelnden Ärzten und einem durch die IV eingeholten gutachterlichen Beurteilung.
Im vorliegenden Fall hatte sich das Bundesgericht mit einem genau solchen Fall auseinanderzusetzen. Die Arbeitslosenversicherung und das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden stellten sich auf den Standpunkt, dass gestützt auf die Beurteilung des behandelnden Psychiaters eine vollständige Arbeitsunfähigkeit auch für einen Arbeitsversuch bestehe, der Versicherte deshalb objektiv vermittlungsunfähig sei und deshalb die Voraussetzungen zum Bezug von Arbeitslosentaggeldern auch im Rahmen der Vorleistungspflicht nicht gegeben seien.
Demgegenüber machte der Versicherte im Verlauf des noch laufenden IV-Verfahrens, dass er durch die IV mit Vorbescheid als zu mindestens 80 % arbeitsfähig in der angestammten sowie in einer leidensadaptierten Tätigkeit einschätze, und deshalb die gesetzliche Vermutung der Vermittlungsfähigkeit gelte.
Das Bundesgericht musste im vorliegenden Fall feststellen, dass zwar im Verlauf des Verfahrens auf das laufende IV-Verfahren hingewiesen und der Vorbescheid angeblich der Arbeitslosenversicherung eingereicht wurde. Diese Dokumente waren aber nicht in den Verfahrensakten enthalten. Aufgrund des geltenden Untersuchungsgrundsatzes wären die ALV und das kantonale Gericht verpflichtet gewesen, die Akten entsprechend zu ergänzen und sind erst dann in der Lage, unter Berücksichtigung der durch den Versicherten geltend gemachten teilweisen Arbeitsfähigkeit über die Vorleistungspflicht zu entscheiden zu können und beurteilen zu können, ob nunmehr nicht mehr von einer offensichtlichen Vermittlungsunfähigkeit auszugehen wäre. Für diese weiteren Abklärungen hat das Bundesgericht die Angelegenheit an das kantonale Gericht zurückgewiesen.
Das bundesgerichtliche Urteil zeigt beispielhaft auf, welche Auswirkungen unterschiedliche Beurteilungen der Arbeitsfähigkeit auch bei der Frage der Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung haben kann, und wie wichtig es ist, dass die Versicherungsträger und die Gerichte ihrer Abklärungspflicht bei entsprechenden Hinweisen hinreichend nachkommen.
Das Bundesgericht hat die Haftung einer Isolierfirma bejaht, deren Mitarbeiter auf einer Baustelle eine dünne Sagex-Matte auf ein Loch im Boden gelegt hatte, worauf ein anderer Bauarbeiter auf die Sagex-Matte trat und durch diese hindurch in die Tiefe stürzte. Dabei hat das Bundesgericht das Verhältnis zwischen Straf- und Zivilrecht präzisiert. Der Unfall hatte sich im […]
Freispruch im Strafverfahren schützt nicht vor zivilrechtlicher Haftung
Das Bundesgericht hat die Haftung einer Isolierfirma bejaht, deren Mitarbeiter auf einer Baustelle eine dünne Sagex-Matte auf ein Loch im Boden gelegt hatte, worauf ein anderer Bauarbeiter auf die Sagex-Matte trat und durch diese hindurch in die Tiefe stürzte. Dabei hat das Bundesgericht das Verhältnis zwischen Straf- und Zivilrecht präzisiert.
Der Unfall hatte sich im Jahr 2004 ereignet. Damals waren sowohl ein Mitarbeiter der nun verurteilten Isolierfirma als auch der geschädigte Heizungsmonteur auf derselben Baustelle tätig, einer Villa im Waadtland, die sich noch im Rohbau befand. Im ersten Stock im Korridor war im Boden eine Fläche ausgespart, wo die Zugangstreppe (vom Erdgeschoss her) installiert werden sollte. Bis am Tag vor dem Unfall war im Korridor um diese offene Fläche herum ein provisorisches Geländer aus Schutzbrettern angebracht, und die Öffnung im Boden für die Treppe war zudem mit Schaltafeln bedeckt. Am Rand der Schaltafeln war ein halbrundes Loch mit einem Durchmesser von rund einem Meter gelassen worden, durch welches die Bauarbeiter mit einer Leiter vom Erdgeschoss in den 1. Stock hinauf klettern konnten.
Am Tag vor dem Unfall bat der Mitarbeiter der Isolierfirma den Maurer, die Geländer-Schutzbretter abzubauen, damit er eine Isolierung anbringen konnte. Nachdem der Maurer dies getan hatte, machte er sich ans Isolieren. Er war allein im Korridor im 1. Stock, wusste aber, dass sich noch andere Handwerker vor Ort befanden. Er legte eine Matte Sagex über die gesamte Länge des Korridors aus und deckte damit auch das halbrunde Loch im Boden zu. Dann machte er sich daran, Klebeband auf der langen Sagex-Matte anzubringen, wobei er am anderen Ende des Korridors begann. Gerade als er mit Kleben begann und gegen die Wand schaute, betrat in seinem Rücken der Heizungsmonteur den Korridor. Er trat an jener Stelle, an der sich versteckt das Loch im Boden befand, auf die Sagex-Matte. Die Sagex-Schicht brach ein und der Heizungsmonteur stürzte fünf Meter in die Tiefe. Dabei zog er sich schwere und bleibende Verletzungen zu.
Ein von der Suva beauftragter Gutachter stellte auf der Baustelle Organisationsmängel fest und liess einen Schutzzaun sowie ein Brett über der Öffnung anbringen. Schon vor dem Unfall hatte der Sachverständige mit der Isolierfirma zu tun gehabt, das heisst, er hatte sie kurze Zeit vorher inspiziert und Verbesserungspotenzial bei der firmeninternen Beurteilung von Risiken und Gefahren auf Baustellen festgestellt.
Gegen den Mitarbeiter der Isolierfirma wurde ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung eröffnet. Mit Urteil vom 1. Dezember 2009 wurde der er freigesprochen.
Im Jahr 2015 reichte der geschädigte Heizungsmonteur am Zivilgericht Lausanne gegen die Isolierfirma eine Teilklage auf Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 100’000.00 ein. Mit Urteil vom 13. Mai 2020 befand das Zivilgericht, dass es nicht an die Feststellungen des Strafrichters gebunden sei. Es verpflichtete die Isolationsfirma dazu, dem Heizungsmonteur aus Art. 55 OR (Haftung des Geschäftsherrn) eine Genugtuung von Fr. 50’000.00 zu bezahlen. Das Waadtländer Kantonsgericht wies die von der Isolierfirma dagegen erhobene Berufung ab, was nun auch das Bundesgericht getan hat.
In seinem Urteil hat das Bundesgericht die einzelnen Rügen der Isolierfirma geprüft und allesamt verworfen:
Die Isolierfirma rügte als erstes eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung durch das kantonale Gericht und – damit verbunden – eine Verletzung von Art. 53 OR («Verhältnis zum Strafrecht»). Das Strafgericht habe den Unfall bereits umfassend untersucht und abschliessend beurteilt gehabt. Von dieser Beurteilung seien die Zivilrichter ohne Grund abgewichen, obwohl das Strafurteil gefällt worden sei als die Erinnerungen der Beteiligten noch frischer gewesen seien.
Wie das Bundesgericht nun ausgeführt hat, waren die Zivilrichter gemäss Art. 53 OR nicht an den Freispruch im Strafverfahren gebunden. Diese Gesetzes-Bestimmung sei zwar nicht ganz klar, es stehe jedoch fest, dass sie nicht die Feststellung des Sachverhalts oder die sich daraus ergebende Widerrechtlichkeit regle, so dass im Zivilprozess darüber zu bestimmen sei, ob der Zivilrichter an den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt gebunden sei oder nicht. Die Zivilprozessordnung enthalte diesbezüglich keine Regel. Deshalb sei der Zivilrichter nicht an den vom Strafrichter festgestellten Sachverhalt gebunden; er entscheide nach eigenem Ermessen frei, ob er den strafrechtlich festgestellten Sachverhalt übernehme oder nicht, und er entscheide auch frei über die Widerrechtlichkeit. Im vorliegenden Fall würden der Straf- und der Zivilrichter insbesondere hinsichtlich der getroffenen Vorsichtsmaßnahmen unterschiedliche Meinungen vertreten. Man könne dem Zivilrichter dabei nicht vorwerfen, Bundesrecht (insbesondere Art. 53 OR) verletzt zu haben, indem er von der strafrichterlichen Beurteilung abgewichen sei und dem Mitarbeiter der Isolierfirma vorgeworfen habe, in einer besonders gefährlichen Situation nicht die notwendigen Schutzmassnahmen getroffen zu haben.
Sodann hat sich das Bundesgericht zu der von der Isolierfirma behaupteten Verletzung von Art. 55 OR («Haftung des Geschäftsherrn») geäussert. Gemäss Art. 55 Abs. 1 OR haftet der Geschäftsherr für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, sofern er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.
Das Bundesgericht hat zunächst die Voraussetzungen für eine Haftung nach Art. 55 OR in Erinnerung gerufen:
eine unerlaubte Handlung einer Hilfsperson, die in einem Subordinationsverhältnis zu einem Arbeitgeber steht und im Rahmen ihrer Arbeit handelt;
ein Schaden;
eine mangelnde Sorgfalt des Arbeitgebers;
ein Kausalzusammenhang zwischen der unerlaubten Handlung der Hilfsperson bzw. der mangelnden Sorgfalt des Arbeitgebers und dem Schaden
Um sich zu exkulpieren, so das Bundesgericht, müsse der Arbeitgeber beweisen, dass er alle nach den konkreten Umständen gebotene Sorgfalt angewendet habe (cura in eligendo, instruendo et custodiendo) oder dass ein sorgfältiges Verhalten den Eintritt des Schadens nicht verhindert hätte. Die Anforderungen an den Arbeitgeber seien dabei hoch; Entlastungsgründe würden nur unter restriktiven Bedingungen zugelassen. Die erforderliche Sorgfalt stehe in einem angemessenen Verhältnis zur Gefährlichkeit der Arbeit der Hilfsperson. Es dürfe nichts Unmögliches verlangt werden, der Geschäftsherr müsse sich aber an das halten, was im täglichen Geschäftsbetrieb vernünftigerweise verlangt werden könne.
Um die Frage nach der unerlaubten Handlung zu beurteilen, hat das Bundesgericht auf die von der Vorinstanz definierten Sicherheitsnormen verwiesen, beispielsweise Art. 12 Abs. 1 der Bauarbeitenverordnung (BauAV), welche den folgenden Wortlaut hat: «Bei nicht durchbruchsicheren Flächen, Bauteilen und Abdeckungen sind Abschrankungen anzubringen oder andere Massnahmen zu treffen, damit sie nicht versehentlich begangen werden. Nötigenfalls sind sie mit tragfähigen Abdeckungen oder Laufstegen zu überbrücken.» Das Strafgericht – so das Bundesgericht – habe im Unfall eine unglückliche Verkettung von Umständen gesehen und festgestellt, dass der Unfall «innerhalb von einigen Dutzend Sekunden» geschehen sei während das Loch mit der Sagex-Matte bedeckt gewesen sei und der Mitarbeiter der Isolierfirma dem Korridor den Rücken zugewandt hatte. Dagegen habe das Zivilgericht dem Mann vorgeworfen, dass er es in einer ohnehin schon gefährlichen Situation versäumt habe, die notwendigen Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen, um die Aussparung zu sichern, womit er einen gefährlichen Zustand geschaffen habe. Insbesondere habe er die anwesenden Bauarbeiter nicht vor der Gefahr gewarnt, und er habe auch nicht um Hilfe gebeten, um die Sagex-Isolierung zu montieren oder die Sagexplatte resp. die Öffnung zu beaufsichtigen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb diese Argumentation falsch gewesen sein solle. Im Übrigen sei auch nicht zu beanstanden, dass die kantonalen Richter die Kausalität zwischen der unerlaubten Handlung des Arbeitnehmers der Isolierfirma und dem eingetretenen Schaden bejaht hätten.
Abschliessend hat sich das Bundesgericht zum Sorgfaltsbeweis geäussert, den die Isolierfirma erbracht haben wollte. Das Zivilgericht hatte der Isolierfirma als Arbeitgeberin u.a. mangelnde Sorgfalt bei der Instruktion und Überwachung ihres Mitarbeiters vorgeworfen: insbesondere habe sie ihm keine besonderen Anweisungen für seinen Einsatz gegeben und keine Massnahmen ergriffen, damit er seine Arbeit mit den anderen Bauarbeitern abspreche. Und sie habe auch nicht dafür gesorgt, dass der Angestellte genügend Zeit hatte, um die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, obwohl der Suva-Experte zuvor auf mögliche Verbesserungen bei der Analyse der Risiken und Gefahren auf kleinen Baustellen sowie bei der Kontrolle und Umsetzung der vorab festgelegten Maßnahmen vor Ort hingewiesen hatte.
Dieser vom kantonalen Gericht übernommen Argumentation hat sich das Bundesgericht angeschlossen. Zwar dürfe von Unternehmen, die Angestellte auf Baustellen entsenden, nicht Unmögliches verlangt werden. Der vorliegende Unfall sei jedoch nicht schicksalhaft gewesen; die Baustelle sei aufgrund des Lochs, das für den Einbau der Treppe vorgesehen gewesen sei, besonders gefährlich gewesen. Von der Arbeitgeberin habe vernünftigerweise erwartet werden können, dass sie sich auf die Baustelle begebe, um die Lage zu beurteilen, die genauen Bedingungen für die Isolierungsarbeiten festzulegen, die Absprache mit den anderen Unternehmen sicherzustellen und vor allem die Vorsichtsmaßnahmen anzuordnen, die während der – wenn auch nur kurzen – Zeit zu treffen gewesen wären, in der das Loch mit einer undurchsichtigen Sagexschicht habe bedeckt werden müssen. Dass für den Angestellten die von ihm geschaffene Gefahr offensichtlich gewesen sei, entbinde die Isolierfirma nicht von der Pflicht, ihn korrekt zu instruieren. Denn die kurze Zeit, während der das Loch habe abgedeckt werden müssen, habe den Angestellten dazu verleiten können, Sicherheitsmassnahmen zu unterlassen; die Arbeitgeberin habe deshalb umso mehr strikte Anweisungen erteilen müssen. Der Vorwurf der Verletzung von Art. 55 OR erweise sich somit als unbegründet.
Das in französischer Sprache verfasste Bundesgerichtsurteil ist klar strukturiert und mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Geschäftsherrenhaftung gemäss Art. 55 OR vereinbar. Bemerkenswert am Fall ist vor allem der Umstand, dass die Zivilrichter nicht einfach die Beurteilung des Strafgerichts übernahmen, wie es in der Praxis leider oft geschieht. Es gibt gute Gründe dafür, weshalb Zivilrichter nicht einfach auf die Feststellungen im Strafverfahren abstellen sollten, insbesondere wenn ein beschuldigter Unfallverursacher freigesprochen oder das Strafverfahren gegen ihn eingestellt wurde; denn die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Verurteilung sind höher als jene für eine zivilrechtliche Verpflichtung, Schadenersatz zu leisten (beispielsweise profitieren Beschuldigte im Strafrecht – im Gegensatz zum Zivilrecht – vom Grundsatz «in dubio pro reo»; auch sind im Strafrecht zugunsten des Beschuldigten subjektive, schuldentlastende Umstände zu berücksichtigen, wogegen sich das Verschulden derselben Person im Zivilrecht anhand eines objektiven Massstabs beurteilt). Art. 53 OR scheint denn auch eine Bindungswirkung des strafrechtlichen Entscheids ausdrücklich zu verneinen. Wie erwähnt neigen in der Praxis dennoch Zivilrichter oft dazu, Klagen gegen strafrechtlich freigesprochene Schädiger mit Verweis auf den strafrechtlichen Verfahrensausgang abzuweisen. Wenn die Waadtländer Gerichte und das Bundesgericht dies vorliegend nicht getan haben, stellt das eine begrüssenswerte Ausnahme dar.
Nach dem Berufsabschluss als Zimmermann studierte der Versicherte an der Technikerschule. Im Rahmen einer befristeten Anstellung stürzte er von der Leiter und verletzte sich schwer (Schädelbasistrauma mit schwerem Schädelhirntrauma). Als Folge resultierte eine bleibende posttraumatische Epilepsie. Die Suva übernahm vorerst Heilbehandlungen und ermittelte eine 50 %-ige Invalidität. Daraus resultierte aber lediglich eine monatliche Rente von […]
Ungenügender Unfallversicherungsschutz während Weiterbildungen
Nach dem Berufsabschluss als Zimmermann studierte der Versicherte an der Technikerschule. Im Rahmen einer befristeten Anstellung stürzte er von der Leiter und verletzte sich schwer (Schädelbasistrauma mit schwerem Schädelhirntrauma). Als Folge resultierte eine bleibende posttraumatische Epilepsie.
Die Suva übernahm vorerst Heilbehandlungen und ermittelte eine 50 %-ige Invalidität. Daraus resultierte aber lediglich eine monatliche Rente von Fr. 204.90. Dies, weil für den versicherten Verdienst bei der Invalidenrente im Unfallversicherungsrecht der im Jahr vor dem Unfall erzielte Lohn massgeblich ist (Art. 15 Abs. 1 UVG). Im Jahr vor dem Unfall war der Versicherte aufgrund des Studiums nur in einem befristeten Arbeitsverhältnis von Anfang September bis Anfang Oktober tätig und erzielte lediglich einen Lohn von rund Fr. 6’000.00 in dieser Zeit.
Er gelangte ans Bundesgericht und berief sich auf eine Sonderbestimmung zur Ermittlung des versicherten Verdienstes (Art. 24 Abs. 3 UVV), gemäss welcher bei Versicherten, welche wegen beruflicher Ausbildung am Tage des Unfalls nicht den Lohn eines Versicherten mit voller Leistungsfähigkeit derselben Berufsart erzielen, auf den Lohn abgestellt werden muss, den sie als voll Leistungsfähige (Ausgebildete) erzielen würden.
Das Bundesgericht hat sich sehr intensiv mit der bis anhin strengen Rechtsprechung zu dieser Bestimmung auseinandergesetzt, jedoch im Wesentlichen bestätigt, dass diese Bestimmung bei Werkstudenten (wie im vorliegenden Fall) nicht zur Anwendung kommt, da sie nur für die Ausbildungen bezogen auf die «primären Ausbildungsziele» anzuwenden sei (E. 4). Es ging auch auf die Kritik in der Lehre ein (E. 5) und konstatierte mit der Vorinstanz, dass für unregelmässig Beschäftige das aktuelle UVG keinen ausreichenden Versicherungsschutz biete. Das würde auch unter dem Solidaritätsgedanken «Fragen aufwerfen».
Es verneinte jedoch das Vorliegen einer unechten Deckungslücke, die von der Rechtsprechung geschlossen werden könnte und stellte fest, dass nur der Gesetzgeber hier eine andere Lösung treffen könnte, was bereits einmal zur Diskussion stand, dann offenbar aber wieder verworfen wurde (E. 4.6.2).
Der Versicherte und auch das Bundesgericht haben «den Finger» auf einen sehr «wunden Punkt» gelegt. Junge Versicherte und Personen in Ausbildung können in der Tat in ganz gravierende Deckungslücken fallen. Es besteht erheblicher Handlungsbedarf und bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber nun tätig wird und die offensichtliche Gesetzeslücke schliesst.
Nach einem Unfallereignis stellte die Unfallversicherung (Suva) die Leistungen ein, wogegen sich der Versicherte mit Einsprache zur Wehr setzte. Nach einem negativen Einspracheentscheid erschien der Versicherte am letzten Tag der Frist mit einem als «Beschwerde/Einspruch» bezeichneten Schreiben bei der Suva. Diese quittierte den Empfang des Schreibens, scannte dieses ein und händigte es dem Versicherten wieder […]
Nach einem Unfallereignis stellte die Unfallversicherung (Suva) die Leistungen ein, wogegen sich der Versicherte mit Einsprache zur Wehr setzte. Nach einem negativen Einspracheentscheid erschien der Versicherte am letzten Tag der Frist mit einem als «Beschwerde/Einspruch» bezeichneten Schreiben bei der Suva. Diese quittierte den Empfang des Schreibens, scannte dieses ein und händigte es dem Versicherten wieder aus. Das alles mit dem Hinweis, dass an sich das Sozialversicherungsgericht zuständig wäre, die Suva die Beschwerde aber dorthin weiterleiten würde. Das hat die Suva dann auch getan. Zwei Tage nach Ablauf der Frist überbrachte der Versicherte sein Schreiben selber auch dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Letzteres entschied auf Nichteintreten mit der Begründung, dass die Eingabe vom 15. Februar 2021 nicht versehentlich bei der Suva eingereicht worden war, sondern er darüber informiert wurde, dass er diese Eingabe dem Sozialversicherungsgericht einreichen müsse.
Das Bundesgericht stützte den Nichteintretensentscheid. Es hielt zwar fest, dass die Frage der «Versehentlichkeit» (Art. 30 ATSG) vorliegend nicht massgeblich sei. Es hielt auch fest, dass die Eingabe grundsätzlich den Anforderungen an eine Beschwerde im Sinne von Art. 61 lit. b ATSG genügen würde. Es beschied jedoch, dass der Versicherte am 15. Februar 2021, als er das Schreiben der Suva überbrachte, eben keinen «Beschwerdewillen» zum Ausdruck brachte, da er das Schriftstück wieder mitgenommen hatte. Daran ändert offenbar auch nichts, dass die Suva den Empfang mittels Stempel bestätigt, das Schreiben eingescannt und schlussendlich auch dem Sozialversicherungsgericht weitergeleitet hatte.
Diese Einschätzung (allein aufgrund des «Wiedermitnehmens» des Beschwerdeschreibens den Beschwerdewillen zu verneinen) erscheint zu streng. Dies umso mehr, als dass die Suva das Schreiben wohl nur wieder zurückgegeben hat, weil sie zwischenzeitlich sämtliche Akten elektronisch führt und auch zentral versendet. Ob eine Weiterleitung seitens der Suva ohne Einscannen technisch überhaupt möglich gewesen wäre, hat das Bundesgericht gar nicht näher abgeklärt. Ebenso wenig die genaueren Umstände für die Wiederaushändigung des Schreibens durch die Suva an den Versicherten.
Im Rahmen des bundesgerichtlichen Verfahrens wurde des Weiteren eine Verletzung der Informations- und Aufklärungspflicht durch die Suva gerügt (Art. 17 Abs. 2 ATSG). Diese Rüge wurde mit dem Hinweis verworfen, dass es nicht Aufgabe der Suva sei, juristisches Personal zur Verfügung zu stellen und persönliche Eingaben unmittelbar rechtlich zu prüfen. Diese Argumentation ist insoweit fragwürdig, als vom Versicherten ja eben erwartet wird, dass er die Tragweite seines Handelns jederzeit erkennt.
Würdigung
Wenn ein Versicherter ein Schriftstück verfasst, in welchem er klar zum Ausdruck bringt, dass er mit einem Entscheid nicht einverstanden ist und dieses auch noch persönlich einer Stelle, welche er als dafür zuständig hält, übergibt, so hat er – nach Ansicht des Autors – damit mehr als ausreichend seinem Willen, den Fall gerichtlich überprüfen zu lassen, Ausdruck verliehen. Umso mehr, wenn die Stelle, der er das Schreiben übergeben hat (hier die Suva), ihm zusichert, die Beschwerde ans zuständige Gericht weiterzuleiten, wozu sie gesetzlich (Art. 30 ATSG) auch verpflichtet ist. Da kann und darf es nicht darauf ankommen, ob das Schriftstück dem Versicherten seitens der Suva wieder ausgehändigt wurde. Daraus abzuleiten, dass er die Beschwerde nicht habe erheben wollen, geht deutlich zu weit. Mit der Übergabe des Schriftstücks an die (wenngleich auch unzuständige, vermeintliche) Beschwerdestelle wurde das Rechtsmittel gültig erhoben. Ein Rückzug müsste erklärt werden. Nur die Rückgabe des Schriftstückes darf nicht als Rückzugserklärung gewertet werden.
Link zur Video-Urteilsbesprechung auf YouTube Immer wieder lehnt die Unfallversicherung nach einem Skiunfall die Leistungspflicht ab. Weshalb die Unfallversicherung nicht bezahlt, und was es eben sein könnte, wenn es kein Skiunfall ist, wird in diesem Video und nachfolgend erläutert. Als Unfall gilt gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren […]
Immer wieder lehnt die Unfallversicherung nach einem Skiunfall die Leistungspflicht ab. Weshalb die Unfallversicherung nicht bezahlt, und was es eben sein könnte, wenn es kein Skiunfall ist, wird in diesem Video und nachfolgend erläutert.
Als Unfall gilt gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Dies in Abgrenzung davon, ob eine krankheitsbedingte Schädigung vorliegt.
Es muss demnach insbesondere ein ungewöhnlicher äusserer Faktor vorliegen. Dies ist rechtsprechungsgemäss dann zu bejahen, wenn der äussere Faktor – nach einem objektiven Massstab – nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist. Im Zusammenhang mit Ereignissen beim Skifahren hat das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung beispielsweise festgehalten, dass ein solches Zusatzgeschehen – und mit diesem das Merkmal des ungewöhnlichen äusseren Faktors im Sinne einer den normalen Bewegungsablauf störenden Programmwidrigkeit – gegeben ist bei einem Skifahrer, der auf einer Buckelpiste auf einer vereisten Stelle ohne zu stürzen ausgleitt, danach unkontrolliert einen Buckel anfährt, abgehoben wird und bei verdrehter Oberkörperhaltung hart auf dem Boden aufschlägt, nicht aber, wenn beim Skifahren auf einer steilen, buckligen Piste und Kompression in einer Wellenmulde eine Diskushernie auftritt.
Im vorliegenden Fall, welcher das Bundesgericht in seinem neusten Urteil zu beurteilen hatte, erlitt A. am 1. Februar 2019 bei einer kurvenreichen Fahrt auf einer normalen Piste bei einem Stockeinsatz einen Schlag in der linken Schulter, wobei er einen Sturz verhindern konnte. Die Unfallmeldung wurde erst im August 2019 eingereicht, da A. aufgrund «nicht allzu grosser Schmerzen» für knapp 4 Monate mit dem Aufsuchen eines Arztes zuwartete. Die Schulterbeschwerden wurden nach einer Abklärung durch den behandelnden Radiologen auf eine Knochenauflösung am äusseren Ende des Schlüsselbeins zurückgeführt. Nachdem die konservative Therapie keinen Erfolg brachte, wurde ein operativer Eingriff an der linken Schulter durchgeführt. Das Bundesgericht hatte in der Folge zu entscheiden, ob dieses Ereignis vom 1. Februar 2019 auch als Unfall im Rechtssinne zu qualifizieren ist, nachdem die Unfallversicherung ihre Leistungspflicht ablehnte. Hierfür stützte sich die Unfallversicherung auf eine Stellungnahme des beratenden Orthopäden, welcher sich auf den Standpunkt stellte, dass eine vorbestehende Arthrose des Schultergelenks für das Leiden ursächlich sein soll.
Das Bundesgericht hielt fest, dass es bei Schädigungen, die sich – wie hier – auf das Körperinnere beschränken, der Nachweis eines Unfalls insofern strengen Anforderungen unterliegt, als die unmittelbare Ursache der Schädigung unter besonders sinnfälligen Umständen gesetzt werden muss; denn ein Unfallereignis manifestiert sich in der Regel in einer äusserlich wahrnehmbaren Schädigung, während bei deren Fehlen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit rein krankheitsbedingter Ursachen besteht. Es sei der sportlichen Tätigkeit des Skifahrens inhärent, dass der Körper regelmässig Erschütterungen ausgesetzt ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Schlag, wie im vorliegenden Fall vorgebracht wurde, heftig gewesen sein sollte.
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es nach der bisherigen Rechtsprechung nicht rechtsgenüglich erstellt und nicht ersichtlich sei, dass eine für die Qualifikation als Unfallereignis erforderliche Programmwidrigkeit im Sinne eines ungewöhnlichen äusseren Faktors vorliegen soll. Der in der linken Schulter verspürte Schlag sprengt nach Ansicht des Bundesgerichts den Rahmen eines beim Skifahren üblichen Vorgangs nicht. Es kam zum Ergebnis, dass der versicherungsrechtliche Unfallbegriff nach Art. 4 ATSG in diesem Fall nicht erfüllt ist.
Dieses Urteil zeigt ein weiteres Mal auf, dass die Wahrnehmung eines Ereignisses als Unfall nicht immer auch als Unfall im Rechtssinne zu qualifizieren sind. Die Abgrenzung ist schwierig und die Rechtsprechung sehr umfangreich. Die Spezialistinnen und Spezialisten von KSPartner haben die notwendige Erfahrung, diese Abgrenzung vornehmen zu können und bei Streitigkeiten mit der Unfallversicherung Unterstützung zu leisten.
Das Bundesgericht hat die Anwendung des seit 2016 geltenden Straftatbestands des Sozialleistungsmissbrauchs (Art. 148a StGB) präzisiert: es gesteht einer Frau ausländischer Herkunft, die unrechtmässig Sozialhilfe im Betrag von Fr. 3’303.73 bezogen hatte, einen „leichten Fall“ im Sinne von Art. 148 Abs. 2 StGB zu. Damit entgeht die Frau dem Landesverweis. Seit dem 1. Oktober 2016 gilt […]
Sozialleistungsmissbrauch: leichter Fall auch über Fr. 3’000.00
Das Bundesgericht hat die Anwendung des seit 2016 geltenden Straftatbestands des Sozialleistungsmissbrauchs (Art. 148a StGB) präzisiert: es gesteht einer Frau ausländischer Herkunft, die unrechtmässig Sozialhilfe im Betrag von Fr. 3’303.73 bezogen hatte, einen „leichten Fall“ im Sinne von Art. 148 Abs. 2 StGB zu. Damit entgeht die Frau dem Landesverweis.
Seit dem 1. Oktober 2016 gilt in der Schweiz: „Wer jemanden durch unwahre oder unvollständige Angaben, durch Verschweigen von Tatsachen oder in anderer Weise irreführt oder in einem Irrtum bestärkt, sodass er oder ein anderer Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe bezieht, die ihm oder dem andern nicht zustehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft (Art. 148a Abs. 1 StGB). In leichten Fällen ist die Strafe Busse (Art. 148a Abs. 2 StGB).“
Dieser neue Straftatbestand, der im Zuge der Ausführungsbestimmungen zur Ausschaffungsinitiative ins Gesetz kam, ist sehr weit gefasst und kommt bei schon verhältnismässig geringen Verstössen zur Anwendung. Erfasst wird nämlich jede Form der Täuschung. Diese kann durch unwahre oder unvollständige Angaben erfolgen oder auf dem Verschweigen bestimmter Tatsachen beruhen (z.B. auf einem Versicherungsformular oder schon nur dem eigenen Arzt gegenüber). So macht sich ein IV-Rentenbezüger, welcher der IV nicht meldet, dass es ihm etwas besser geht, dadurch bereits strafbar (durch Verschweigen dieses Umstands); denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt das blosse Nichtmelden geänderter Verhältnisse, damit der Tatbestand erfüllt ist, ein aktives Nachfragen von Seiten des Versicherers ist nicht erforderlich (Urteile 6B_1030/2020 E. 1.1.2; 6B_1033/2019 E. 4.5.2). Ebenfalls spielt keine Rolle, ob und inwieweit die Behörde ihren Irrtum hätte vermeiden können resp. ob die Behörde eine Mitverantwortung am eigenen Irrtum trifft (Urteil 6B_1246/2020 E. 3.5.2; dies wird aber bei der Frage, ob ein „leichter Fall“ vorliegt, mitberücksichtigt, s. unten). Vorausgesetzt ist immerhin, dass die betroffene Person von ihrer Meldepflicht wusste und sie die Täuschung aufseiten der Versicherung zumindest in Kauf nahm (Urteil 6B_1033/2019 E. 4.5.6; Urteil 6B_1246/2020 E. 3.4).
Für Ausländer hat Art. 148a Abs. 1 StGB schwerwiegende Konsequenzen, da mit einer Verurteilung automatisch eine Landesverweisung verbunden ist. Weil die Voraussetzungen für die Strafbarkeit äusserst tief sind, wird in der Lehre dafür plädiert, einen «leichten Fall» nach Art. 148a Abs. 2 StGB – der keinen Landesverweis nach sich zieht – weit auszulegen.
In einem Urteil vom 16. Juli 2021 hat sich das Bundesgericht mit diesem Thema befasst. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Sozialhilfebezügerin im Kanton Aargau arbeitete von November 2013 bis November 2016 als Küchenaushilfe. Ihr Erwerbseinkommen hatte sie ans Sozialamt abgetreten, und ihr Arbeitgeber musste den Lohn direkt ans Sozialamt überweisen. Dies tat er bis im Juni 2016, für die Monate Juli bis November 2016 erfolgten keine Zahlungen mehr. Von Februar bis September 2017 war die Frau überdies als Reinigungsfachfrau für einen anderen Arbeitgeber tätig. Die dabei erzielten Einkommen deklarierte sie gegenüber dem Sozialamt nicht. So erhielt sie von August bis Dezember 2016 und von März bis November 2017 mehr Sozialhilfe ausbezahlt, als ihr unter Berücksichtigung ihres Einkommens zugestanden wäre.
Vor Bezirksgericht wurde die Frau im April 2017 vom Vorwurf des unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe gemäss Art. 148a StGB freigesprochen. Die von der Staatsanwaltschaft dagegen erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Aargau teilweise gut und verurteilte sie wegen der Nicht-Deklaration der Löhne als Reinigungsfachfrau (im Jahr 2017) zu einer bedingten Geldstrafe sowie zu einer Busse. Zusätzlich verwies es die Frau für fünf Jahre des Landes.
Das Bundesgericht hatte unter anderem zu prüfen, ob von einem leichten Fall im Sinne von Art. 148a Abs. 2 StGB auszugehen ist. Dazu führte das Gericht zunächst aus, dass das Gesetz nicht definiere, wann ein leichter Fall gegeben sei. Ein Abgrenzungskriterium stelle der Deliktsbetrag dar. Zur Frage, ab welchem Betrag nicht mehr von einem leichten Fall gesprochen werden könne (im Sinne einer Erheblichkeitsschwelle), habe es sich noch nie geäussert. Die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz schlage einen Betrag von Fr. 3’000.00 vor, was in der Literatur als zu tief kritisiert werde.
Das Bundesgericht präzisierte an diesem Punkt seine Rechtsprechung, indem es erwog, dass der Deliktsbetrag nicht das einzige Kriterium sei bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall vorliege. Neben dem Betrag der unrechtmässig bezogenen Sozialleistung seien weitere Elemente zu beachten, die das Verschulden des Täters „herabsetzen“ könnten. Dies könne etwa die (kurze) Zeit des unrechtmässigen Leistungsbezugs sein. Auch wenn das Verhalten des Täters nur eine geringe kriminelle Energie offenbare oder seine Beweggründe und Ziele nachvollziehbar seien, könne ein leichter Fall vorliegen, seien für die Beurteilung des Verschuldens doch die gesamten Tatumstände zu berücksichtigen, namentlich die Art und Weise der Herbeiführung und die Verwerflichkeit des Handelns. Es könne deshalb offen gelassen werden, ob die in der Lehre laut gewordene Kritik am Grenzwert von Fr. 3’000.00 berechtigt sei oder nicht.
Im konkreten Fall erwog das Bundesgericht, der genannte Grenzbetrag von Fr. 3’000.00 sei hier nur geringfügig überschritten, was einen ersten Hinweis auf eine minder schwere Tat darstelle. Zwar habe die Frau gegenüber den Sozialhilfebehörden im Jahr 2011 schon einmal Lohneinkünfte verschwiegen, es sei aber nie eine Verurteilung erfolgt. Die Frau habe mit bloss geringer krimineller Energie gehandelt; sie habe nicht aktiv auf den Taterfolg hingewirkt, sondern die Tat durch das Verschweigen von weiterem Einkommen und damit durch Unterlassen begangen, und sie habe die Täuschung des Sozialamts auch nur „in Kauf genommen“ statt direkt vorsätzlich darauf hinzuwirken. Dem RAV gegenüber habe sie die streitigen Einkünfte von sich aus korrekt angegeben, wobei sie damit habe rechnen müssen, dass der Sozialdienst vom RAV über ihre Beschäftigung als Reinigungsfachfrau informiert werde. Damit habe sie die Möglichkeit, aufzufliegen, gewissermassen selber geschaffen. Abgesehen davon sei die Rolle der zuständigen Sachbearbeiterin des Sozialdienstes nicht restlos geklärt worden; diese treffe eine gewisse Mitverantwortung, hätte sie doch aufgrund der Schwankungen in der Höhe des ausbezahlten Arbeitslosentaggelds skeptisch werden und reagieren müssen. Diese dem Sozialdienst anzulastende Mitverantwortung schmälere das Verschulden der Frau zusätzlich. Zudem lebe die Frau am Rande des Existenzminimums und habe das bezogene Geld nicht für den Erwerb irgendwelcher Luxusgüter aufgewendet, sondern ihrem Sohn damit ein Bett gekauft. Ihre Beweggründe seien somit tendenziell zu ihren Gunsten auszulegen.
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Frau teilweise gut, hob das Urteil des Aargauer Obergerichts in Bezug auf die Verurteilung auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück mit der Anordnung, das Aargauer Obergericht habe die Frau wegen unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung oder der Sozialhilfe in einem leichten Fall nach Art. 148a Abs. 2 StGB schuldig zu sprechen und hierfür eine angemessene Strafe festzusetzen. Eine Landesverweisung falle ausser Betracht.
Beim Skifahren passieren jedes Jahr viele Vorfälle, welche in der allgemeinen Wahrnehmung einen «Unfall» darstellen. Nicht immer ist das Ereignis aber auch als Unfall im Rechtssinne mit der daraus folgenden Leistungspflicht der Unfallversicherung zu qualifizieren. Alles weitere zu dieser Abgrenzung wird in diesem Video erläutert.
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Versicherungen – vor allem Krankentaggeld-Versicherungen – machen in jüngster Zeit immer häufiger Versicherungsbetrug geltend, treten vom Vertrag zurück und fordern bereits geleistete Taggelder zurück. Sie stützen sich dabei auf Art. 40 VVG, gemäss welchem eine Versicherung nicht an den Vertrag gebunden ist, wenn ein Anspruchsberechtigter zum Zwecke der Täuschung Tatsachen unrichtig mitteilt oder verschweigt, welche […]
Versicherungs-Betrug: Beweismasserleichterung gilt nur beschränkt
Versicherungen – vor allem Krankentaggeld-Versicherungen – machen in jüngster Zeit immer häufiger Versicherungsbetrug geltend, treten vom Vertrag zurück und fordern bereits geleistete Taggelder zurück. Sie stützen sich dabei auf Art. 40 VVG, gemäss welchem eine Versicherung nicht an den Vertrag gebunden ist, wenn ein Anspruchsberechtigter zum Zwecke der Täuschung Tatsachen unrichtig mitteilt oder verschweigt, welche die Leistungspflicht des Versicherers ausschliessen oder mindern würden.
So ist es auch in einem am 11. Januar 2022 vom Bundesgericht beurteilten Fall gewesen (BGer 4A_394/2021, zur Publikation vorgesehen). Ein Taxiunternehmer hatte seiner Versicherung am 13. April 2016 gemeldet, dass er seit dem 4. April 2016 wegen Stress und Rückenschmerzen arbeitsunfähig sei. Gestützt auf ärztliche Arbeitsunfähigkeitszeugnisse leistete die Versicherung von April 2016 bis Januar 2017 Taggelder im Betrag von Fr. 47’509.00. Als sie Kenntnis davon erlangte, dass der Versicherte am 21. Mai 2016 bei einer Taxifahrt eine Auffahrkollision verursacht hatte, trat sie infolge betrügerischer Anspruchsbegründung rückwirkend vom Vertrag zurück und forderte bereits ausgerichtete Taggelder zurück. Der Versicherte bestritt, betrogen wollen zu haben. Eine vom ihm eingereichte Klage auf Bezahlung weiterer Taggelder wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich am 1. Juni 2021 jedoch ab. Die von der Versicherung erhobene Widerklage hiess das Gericht demgegenüber gut und verpflichtete den Taxiunternehmer, der Versicherung Fr. 47’509.00 zuzüglich Zins zu 5% ab dem 27. Januar 2020 zu bezahlen. Das Bundesgericht hat nun am 11. Januar 2022 die vom Taxifahrer erhobene Beschwerde abgewiesen. Bei dieser Gelegenheit hat es seine Rechtsprechung zum Beweismass in solchen Fällen präzisiert.
Damit Art. 40 VVG zur Anwendung kommen kann, muss die versicherte Person erstens den Versicherungsanspruch betrügerisch begründet haben; das heisst, sie muss eine relevante Tatsache unrichtig mitteilt oder verschwiegen haben (objektiver Tatbestand). Und zweitens muss sie dies in Täuschungsabsicht getan haben (subjektiver Tatbestand). Den Beweis dafür muss die Versicherung erbringen. Ein Beweis gilt grundsätzlich als erbracht, wenn das Gericht, von der Richtigkeit der Behauptung überzeugt ist und keine ernsthaften Zweifel mehr daran hat. Im Zusammenhang mit der betrügerischen Begründung eines Versicherungsanspruchs profitieren die Versicherungen aber gemäss der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis von einer Beweismasserleichterung: das Gericht muss von den von der Versicherung zu beweisenden Tatsachen nicht überzeugt sein, sondern es genügt, wenn die behaupteten Tatsachen mit bloss «überwiegender Wahrscheinlichkeit» als erstellt gelten.
Im Entscheid vom 11. Januar 2022 hat das Bundesgericht nun klargestellt, dass eine solche Beweismasserleichterung Beweisnot voraussetzt. Im Zusammenhang mit Art. 40 VVG ist Beweisnot insbesondere hinsichtlich des subjektiven Tatbestands der Täuschungsabsicht gegeben: denn dabei handelt es sich um eine innere Tatsache (der versicherten Person), die von ihrer Natur her nicht dem unmittelbaren Beweis zugänglich ist. Die Täuschungsabsicht muss somit nur mit «überwiegender Wahrscheinlichkeit» nachgewiesen werden. Demgegenüber – und hier präzisiert das Bundesgericht seine Rechtsprechung – besteht hinsichtlich des objektiven Tatbestands (der Darlegung wahrheitswidriger Fakten) keine Beweisnot. Der Nachweis dafür ist daher grundsätzlich mit dem strikten Beweismass zu erbringen.
Im zu beurteilenden Fall hat das Bundesgericht auf die verbindlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts verwiesen, wonach der Taxiunternehmer am 21. Mai 2016 (während behaupteter vollständiger Arbeitsunfähigkeit) seiner Berufstätigkeit nachgegangen sei und dies zehn Tage später gegenüber dem Schadenexperten der Versicherung verschwiegen habe, weshalb es den objektiven Tatbestand der betrügerischen Begründung des Versicherungsanspruchs im Sinne von Art. 40 VVG bejahte. Die Behauptung des Taxiunternehmers, es habe sich am 21. Mai 2016 nur um einen Arbeitsversuch gehandelt, welcher (zufolge des Verkehrsunfalls auf dem Weg zur Arbeit) gescheitert sei, erachtete das Bundesgericht nicht als erwiesen. Weil der Taxiunternehmer zudem nicht oder nicht hinreichend dargelegt habe, weshalb die Täuschungsabsicht fehle, hat das Bundesgericht die Beschwerde abgewiesen. Dem Argument des Taxiunternehmers, er sei mit der versuchsweisen Wiederaufnahme der Arbeit bloss seiner Schadenminderungspflicht nachgekommen, hat das Bundesgericht entgegengehalten, die Wiederaufnahme der Arbeit hätte nur dann zur Schadenminderung beigetragen, wenn sie der Versicherung angezeigt worden wäre, womit sie ihre Leistungen hätte reduzieren können.
Der Präzisierung des Bundesgerichts, wonach Versicherungen hinsichtlich des objektiven Tatbestands grundsätzlich nicht von einer Beweismasserleichterung sollen profitieren können, ist nichts Revolutionäres. Sondern das Bundesgericht stellt damit nur klar, was grundsätzlich – als auch in allen anderen Rechtsgebieten und Zivilprozessen – gilt. Es ist denn auch nicht einzusehen, weshalb für Versicherungen günstigere Regeln gelten sollten.
Leider lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, gestützt worauf das kantonale Gericht dem Taxiunternehmer vorwarf, die Wiederaufnahme der Arbeit deshalb verschwiegen zu haben, damit die Versicherung keine Anpassung der Taggelder vornehmen könne und weiterhin das volle Taggeld ausrichte. Die damit unterstellte Täuschungsabsicht (subjektiver Tatbestand) wird in gerichtlichen Verfahren oft leichtfertig anhand nicht stichhaltiger Annahmen bejaht, ohne dass eine genaue Auseinandersetzung damit stattfindet.
Die Abweisung der Beschwerde des Taxifahrers reiht sich nahtlos ein in eine versicherungsfreundliche bundesgerichtliche Rechtsprechung, welche die Versicherungen gerade dazu animieren dürfte, schon bei kleinsten missverständlichen oder falschen Angaben, einen Versicherungsbetrug gelten zu machen ohne genaue Abklärungen zu treffen, was für die Versicherten – welche sich im Krankheitsfall ohnehin in einer misslichen Lage befinden – unverhältnismässig schwere Konsequenzen haben kann: Rückforderung der Taggeldzahlungen, Rücktritt vom Vertrag und Verlust der Versicherungsdeckung. Ein Tatbestand des Versichertenbetrugs, der Versicherungen sanktionieren würde, die wissentlich und willentlich geschuldete Leistungen verweigern, fehlt demgegenüber in der schweizerischen Rechtsordnung.
Urteil BGer 4A_394/2021 vom 11. Januar 2022 (zur Publikation vorgesehen)