Erlass der Rückerstattung von zu Unrecht bezogenen Leistungen
Beim Erlass der Rückerstattung von unrechtmässig bezogenen Leistungen soll gemäss Bundesgericht vermehrt den besonderen Umständen des Einzelfalles Rechnung getragen werden. Das Bundesgericht hatte sich in einem zur Publikation vorgesehen Entscheid (9C_202/2023 vom 21. Dezember 2023) mit der Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen der grossen Härte bei einer juristischen Person im Rahmen eines Erlassgesuches zu […]
Erlass der Rückerstattung von zu Unrecht bezogenen Leistungen
Beim Erlass der Rückerstattung von unrechtmässig bezogenen Leistungen soll gemäss Bundesgericht vermehrt den besonderen Umständen des Einzelfalles Rechnung getragen werden.
Das Bundesgericht hatte sich in einem zur Publikation vorgesehen Entscheid (9C_202/2023 vom 21. Dezember 2023) mit der Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen der grossen Härte bei einer juristischen Person im Rahmen eines Erlassgesuches zu beschäftigen.
Die Ausgleichskasse forderte von einer GmbH zu viel ausgerichtete Coronaerwerbsersatzentschädigung zurück, welche für die beiden Arbeiternehmenden in arbeitgeberähnliche Stellung bezogen worden waren.
Die Ausgleichskasse vertrat die Ansicht, dass für die Beurteilung der grossen Härte die zu Art. 40 AHVV ergangene Rechtsprechung analogieweise heranzuziehen sei. Dabei argumentierte sie, dass gemäss BGE 113 V 248 die grosse Härte bei juristischen Personen eine bestehende und unmittelbar drohende Überschuldung voraussetze. Eine solche liege vor, wenn die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger durch die Aktiven nicht mehr gedeckt seien. Dabei sei ein strenger Massstab anzulegen und der Erlass nur restriktiv zu gewähren.
Die Vorinstanz folgte dieser Betrachtungsweise nicht mit dem Hinweis, dass es hier nicht um den Erlass der Nachzahlung von Beiträgen, sondern um den Erlass der Rückerstattung von Leistungen gehe, in welchem Bereich sich gemäss Urteil I 553/01 vom 28. Juni 2002 (publ. in AHI S. 159) ein milder Massstab zur Bestimmung der grossen Härte (ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten aufgrund der Rückerstattung) rechtfertige.
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die von der Vorinstanz zur Anwendung gebrachte mildere Rechtsprechung auf den zu beurteilenden Fall nicht anwendbar ist. Es begründete seinen Entscheid damit, dass es bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer juristischen Person zwar durchaus Gründe gebe, beim Beitragserlass einen strengeren Massstab anzuwenden als betreffend die Rückerstattung von Leistungen. Der Erlass der Nachzahlung sei deshalb nur restriktiv zu gewähren, weil er eine Ausnahme von Grundprinzip der AHV-Beitragsordnung darstelle, welche, ohne Rücksicht auf die finanzielle Leistungsfähigkeit, auf der Erhebung von Lohnprozenten beruhe. Mit Verweis auf den von der Vorinstanz herangezogenen Entscheid (I 553/01) führte es weiter aus, dass es sich beim Erlass der Rückerstattung von Leistungen vermehrt rechtfertige, den besonderen Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen. Diesem Entscheid lag der Sachverhalt zu Grunde, wonach eine Arbeitgeberin ihrem Arbeitnehmer trotz vermindeter Arbeitsfähigkeit den vollen Lohn ausgerichtet hatte, sie sich jedoch im Gegenzug von der Ausgleichskasse die dem Arbeitnehmer später rückwirkend zugesprochene IV-Rente auszahlen liess. Als sich im Nachhinein herausgestellt hatte, dass die Drittauszahlung zu Unrecht erfolgt war und die Ausgleichskasse die Rückerstattung der Rentenbetreffnisse von der Arbeitgeberin zurückforderte, bejahte das Bundesgericht wegen der besonderen Umstände das Vorliegen einer grossen Härte und liess es genügen, dass die Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Leistungen die Gesellschaft in ernste finanzielle Schwierigkeiten gebracht hätte bzw. forderte nicht, dass bereits eine Überschuldung der Gesellschaft vorliegt bzw. die Rückerstattung zu einer solchen führen würde (I 553/01 E. 4a). Besondere, einen milderen Massstab rechtfertigende Umstände erblickte das Bundesgericht im damals zu beurteilenden Fall darin, dass sich die Arbeitgeberin durch den Bezug der sich im Nachhinein als zu Unrecht an sie ausgerichteten Leistungen nicht bereichert, sondern dem Versicherten entsprechende Vorschussleistungen erbracht hatte. Weiter hielt es das Gericht für relevant, dass aus den zu Unrecht erfolgten Zahlungen auch keine Mittel mehr vorgelegen hätten, aus welchen die Rückerstattung hätte erfolgen können.
Das Bundesgericht sah im vorliegend zu beurteilenden Fall den Unterschied zu demjenigen gemäss I 553/01 darin, dass Zahlungen zur Diskussion standen, welche die GmbH für ihre Inhaber bzw. Arbeitnehmenden in arbeitgeberähnlicher Stellung erhalten hatte. Darin sei ein Vorteil für die GmbH zu erblicken. Damit kam es zum Schluss, dass für die Beurteilung der grossen Härte vorliegend der (grundsätzlich anwendbare) strenge Massstab gelte.
Bei der Prüfung der Frage, ob bereits eine Überschuldung der GmbH eingetreten ist oder eine solche unmittelbar droht, musste das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren auch noch entscheiden, ob der bezogene Covid-19-Kredit als Fremd- oder Eigenkapital zu berücksichtigen ist. Mit Verweis auf Art. 24 des Bundesgesetzes über Kredite mit Solidarbürgschaft infolge des Coronavirus (SBüG), wonach für die Berechnung der Deckung von Kapital und Reserven bzw. einer Überschuldung (Art. 725 Abs. 1 und 2 OR) die gestützt auf Art. 3 Covid-19-SBüV vergebenden, zu 100 % verbürgten Covid-19-Kredite bis Fr. 500’000.— nicht als Fremdkapital berücksichtigt würden, brachte die Ausgleichskasse vor, der von der GmbH bezogene Covid-Kredit sei demnach als Eigenkapital zu qualifizieren. Das Bundesgericht sah aber ausserhalb des Anwendungsbereiches von Art. 24 Covid-19-SBüG keinen Anlass dafür. So kam es zum Schluss, dass der Covid-19-Kredit bei der Beurteilung der Frage nach dem Bestand einer Überschuldung oder ob eine solche unmittelbar droht im Rahmen des vorliegenden Erlassgesuches – wie alle anderen Kredite – als Fremdkapital zu berücksichtigen sei.
Unter Qualifizierung des Covid-19-Kredites als Fremdkapital lag eine Überschuldung der GmbH vor, weshalb das Bundesgericht die grosse Härte bejahte. Insgesamt wurde die Angelegenheit in sinngemässer Gutheissung der Beschwerde an die Ausgleichskasse zurückgewiesen zur Prüfung der Frage nach dem gutgläubigen Leistungsbezug.
Es ist zu begrüssen, wenn das Bundesgericht bei der Rückerstattung von unrechtmässig bezogenen Leistungen den besonderen Umständen des Einzelfalles vermehrt Rechnung zu tragen gedenkt. Ob die Rechtsprechung auch bei Erlassgesuchen von natürlichen Personen für die Besonderheiten des Einzelfalles offen sein wird, wird die Zukunft zeigen.
Urteil 9C_202/2023 vom 21. Dezember 2023, zur Publikation vorgesehen