Invaliditätskapital-Versicherung bei Unfall: ordentliche Zivilgerichte zuständig

by Markus Steudler

Für einen Rechtsstreit betreffend ein versichertes Invaliditätskapital bei Unfall sind gemäss dem Bundesgericht die ordentlichen Zivilgerichte zuständig und nicht die „einzige kantonale Instanz“ gemäss Art. 7 ZPO.

Wer an einem Gericht gegen seine Kranken-Zusatzversicherung den Anspruch auf ein Invaliditätskapital rechtlich durchsetzen will, kann in eine prozessuale Falle tappen: So ist es einem Mann ergangen, der im Juli 2020 einen schweren Unfall erlitt und dem die Suva in der Folge eine Invalidenrente und eine Integritätsentschädigung von Fr. 103‘740.00 bezahlte. Da er bei einer privaten Versicherung oder Krankenkasse eine Zusatzversicherung hatte, welche bei Unfall ein Todesfallkapital von Fr. 5‘000.00 und ein Invaliditätskapital von Fr. 100‘000.00 (mit Progression bis zu Fr. 350‘000.00) bezahlen musste, die Gesellschaft aber keine Leistungen erbringen wollte, klagte er – oder besser gesagt sein Rechtsvertreter – den Anspruch (Fr. 350‘000.00 plus Zinsen) bei der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Walliser Kantonsgerichts ein. Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts stützte er sich auf Art. 7 ZPO, gemäss welchem die Kantone ein Gericht bezeichnen können, das als einzige kantonale Instanz für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen nach KVG zuständig ist. In der Regel handelt es sich bei dieser „einzigen kantonalen Instanz“ um das kantonale Sozialversicherungsgericht.

Welche Ansprüche genau beim kantonalen Sozialversicherungsgericht eingeklagt werden können oder müssen, darüber besteht seit dem Inkrafttreten der Eidgenössischen Zivilprozessordung (ZPO) im Januar 2011 eine gewisse Unsicherheit. Beispielsweise sind gemäss der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichts Streitigkeiten aus Krankentaggeld-Versicherungen regelmässig an diesem Sozialversicherungsgericht (als einzige kantonale Distanz gemäss Art. 7 ZPO) anhängig zu machen, auch wenn es sich um einen privatrechtlichen Versicherungsvertrag handelt und Taggeldleistungen nicht zur obligatorischen Krankenversicherung gemäss KVG gehören.

Im hier interessierenden Fall trat die sozialversicherungsrechtliche Abteilung des Walliser Kantonsgerichts auf die Klage nicht ein, was das Bundesgericht in seinem am 31. Januar 2024 gefällten und zur Publikation vorgesehenen Urteil in französischer Sprache bestätigt hat. Das Bundesgericht hat dabei erwogen, der von Art. 7 ZPO angestrebte Zweck – nur eine einzige kantonale Instanz vorzusehen für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zum KVG (analog zu den Streitigkeiten aus KVG) – erfordere eine restriktive Auslegung dieser Bestimmung. Um der Voraussetzung der Komplementarität zur sozialen Krankenversicherung gerecht zu werden, müsse die entsprechende Zusatzversicherung erstens Risiken abdecken, welche auch vom KVG abgedeckt würden, konkret die Risiken Krankheit, Unfall oder Mutterschaft (Art. 1a Abs. 2 KVG). Und zweitens, müssten die streitigen Leistungen dazu bestimmt sein, Leistungen aus der Grundversicherung gemäss KVG zu ergänzen oder zu verbessern, unter Ausschluss von Leistungen, die in anderen Sozialversicherungsgesetzen vorgesehen seien (Verweis auf das Urteil vom 23. Mai 2017, 4a_12/2016 E. 3.2.1). Zu prüfen sei deshalb in einem ersten Schritt, ob im entsprechenden Fall das versicherte Risiko eines der drei KVG-Risiken (Krankheit, Unfall, oder Mutterschaft) darstelle und – falls ja – in einem zweiten Schritt, ob die versicherten Leistungen eine KVG-Leistung ergänzten oder eine Leistung einer anderen Sozialversicherung.

Im beurteilten Fall hat das Bundesgericht erwogen, dass die zur Diskussion stehende Invaliditätskapital-Versicherung das Unfallrisiko decke, weshalb die erste Voraussetzung erfüllt sei. Jedoch sei die zweite Voraussetzung nicht erfüllt. Wie der Beschwerdeführer selbst anerkenne, ergänze das versicherte Invaliditätskapital die Integritätsentschädigung im Sinne von Art. 24 und 25 UVG. Das Invaliditätskapital komme zur Integritätsentschädigung hinzu, welche die Suva dem Beschwerdeführer am 12. Februar 2022 zugesprochen habe. Damit ergänze das zur Diskussion stehende Invaliditätskapital den Leistungskatalog des UVG und stelle deshalb keine Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung im Sinne von Art. 7 ZPO dar. Deshalb habe das kantonale Gericht seine Zuständigkeit als einzige kantonale Instanz zu Recht verneint.

Das Urteil ist insofern zu begrüssen, als es Klarheit schafft in Bezug auf den Instanzenzug bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Invaliditätskapital-Versicherungen bei Unfall. Solche Rechtsstreitigkeiten kommen in der Praxis häufig vor. Für den hier betroffenen Beschwerdeführer dürfte dies ein schwacher Trost sein. Er hätte seine Klage auf Leistung des Unfall-Invaliditätskapitals bei einem ordentlichen Zivilgericht einreichen müssen und nicht bei der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Walliser Kantonsgerichts (welche in anderen Kantonen dem Sozialversicherungsgericht entspricht). Das Bundesgericht hätte ohne Weiteres auch anders entscheiden können, zumal es die Zuständigkeit der einzigen kantonalen Instanz im Sinne von Art. 7 ZPO im Rahmen von Streitigkeiten aus privatrechtlichen Taggeldversicherungen bejaht, obwohl es sich beim Taggeld (als Lohnersatz bei Arbeitsunfähigkeit) nicht um eine Leistung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung handelt, sondern lediglich um eine Leistung der freiwilligen Versicherung gemäss den Artikeln 67 ff. KVG. Abgesehen davon mutet es etwas seltsam an, wenn das Bundesgericht die restriktive Auslegung von Art. 7 ZPO mit deren Zweck – im Bereich von Zusatzversicherungen zum KVG analog zu den Streitigkeiten aus KVG nur eine einzige kantonale Instanz vorzusehen – begründet und im Bereich von Zusatzversicherungen zum UVG die Anwendbarkeit von Art. 7 ZPO verneint, obwohl es auch in UVG-Rechtsstreitigkeiten nur eine einzige kantonale Instanz gibt. Angesichts der wenig stringenten bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann man gespannt darauf sein, wie das höchste Gericht dereinst die Frage beantworten wird, welche gerichtliche Instanz zur Beurteilung von Streitigkeiten betreffend eines – in einer Kranken-Zusatzversicherungs-Police versicherten – Invaliditätskapitals bei Krankheit zuständig ist. Wohl handelt es sich hier um einen „Kranken“-Zusatzversicherung, das KVG sieht aber keine Integritätsentschädigung vor (wie es das UVG tut), weshalb ein solches Invaliditätskapital kaum in Ergänzung zu den KVG-Pflichtleistungen verstanden werden kann. Entsprechendes gilt für andere im Rahmen von Krankenzusatzversicherungen gedeckte Risiken wie beispielsweise (Gesundheits-) Rechtsschutz-Versicherungsdeckungen.  

Urteil BGer vom 31. Januar 2024, 4A_169/2023 (zur Publikation vorgesehen)

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