Link zum Youtube-Video, welches das Urteil detailliert bespricht Das Bundesgericht hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob nach einer Kreuzbandplastik ein Anspruch auf eine Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs. 1 UVG i.V.m. Art. 36 UVV) besteht. Ein solcher Anspruch besteht bei einer unfallbedingten dauernden erheblichen Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität. Massgeblich für den Integritätsschaden […]
Das Bundesgericht hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob nach einer Kreuzbandplastik ein Anspruch auf eine Integritätsentschädigung (Art. 24 Abs. 1 UVG i.V.m. Art. 36 UVV) besteht. Ein solcher Anspruch besteht bei einer unfallbedingten dauernden erheblichen Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität. Massgeblich für den Integritätsschaden sind Funktionsausfälle und Gebrauchsunfähigkeit eines Organs. Können die Funktionen des verletzten Körperteils mittels Prothesen oder Implantaten ersetzt werden, ist das grundsätzlich bei der Bemessung des Integritätsschadens nicht zu berücksichtigen. Bei der Versorgung mit Endoprothesen wird der Integritätsschaden hingegen nach dem unkorrigierten Zustand bemessen. Da bei einer Kreuzbandplastik körpereigene Sehnen zur Behebung der Beeinträchtigung des betroffenen Körperteils verwendet werden, kann die Rechtsprechung zu Prothesen nicht angewendet werden, sondern es liegt ein autologes Transplantat vor.
Das Bundesgericht kommt deshalb zum Schluss, dass be einer Kreuzbandplastik kein Anspruch auf eine Integritätsentschädigung besteht. Alles weitere zum bundesgerichtlichen Urteil erfahren Sie im YouTube-Video.
A zog sich am 13. Februar 2021 bei einem Velosturz eine Schulterverletzung zu, wofür die Suva als Unfallversicherer die gesetzlichen Leistungen erbrachte. Die Suva stellte diese mit Verfügung vom 16. Juli 2021 die Leistungen wieder ein. Die Rechtsschutzversicherung von A ersuchte die Suva am 14. September 2021 – mit dem Hinweis auf die per diesem […]
Nichteintreten auf Einsprache nach gewährter Fristerstreckung
A zog sich am 13. Februar 2021 bei einem Velosturz eine Schulterverletzung zu, wofür die Suva als Unfallversicherer die gesetzlichen Leistungen erbrachte. Die Suva stellte diese mit Verfügung vom 16. Juli 2021 die Leistungen wieder ein. Die Rechtsschutzversicherung von A ersuchte die Suva am 14. September 2021 – mit dem Hinweis auf die per diesem Datum ablaufende Einsprachefrist – um eine Verlängerung der Einsprachefrist um 10 Tage. Daraufhin setzte die Suva mit Schreiben vom 15. September 2021 eine Frist zur Einsprachebegründung bis zum 26. September 2021 (Sonntag) an. Auf die am 27. September 2021 der Post übergebene begründete Einsprache trat die Suva mit Einspracheentscheid vom 14. Dezember 2021 nicht ein.
Das kantonale Sozialversicherungsgericht hiess die gegen diesen Nichteintretensentscheid geführte Beschwerde gut, und wies die Sache an die Suva zurück, damit diese einen materiellen Entscheid über die Leistungsansprüche von A fälle. Schlussendlich hatte das Bundesgericht über die Zulässigkeit des Nichteintretens zu befinden.
Die Einsprachefrist gegen Verfügungen beträgt nach Art. 52 Abs. 1 ATSG 30 Tage. Diese gesetzliche Frist kann nicht erstreckt werden (Art. 40 Abs. 1 ATSG). Formell stellt Art. 52 Abs. 1 ATSG keine Anforderungen an die Einsprache. Nach Art. 10 Abs. 1 ATSV müssen Einsprachen ein Rechtsbegehren und eine Begründung enthalten. Genügt die Einsprache diesen Anforderungen nicht, oder fehlt die Unterschrift, setzt der Versicherer eine angemessene Frist zur zur Behebung des Mangels an und verbindet damit die Androhung, dass sonst auf die Einsprache nicht eingetreten wird (Art. 10 Abs. 5 ATSV). Diese Nachfrist zur Verbesserung ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung weiter auch dann zu gewähren, wenn – nebst den explizit genannten Unklarheiten beim Rechtsbegehren oder der Begründung – weitere formelle Eintretensvoraussetzungen, die nachträglich erfüllt werden können, nicht erfüllt sind.
Diese Nachfrist zur Verbesserung der Einsprache soll den Schutz der rechtsunkundigen Partei gewährleisten, die erst kurz vor Ablauf der Anfechtungsfrist in Unkenntnis der formellen Anforderungen ein ungenügendes Rechtsmittel einreicht. Die Gewährung einer Nachfrist sei grosszügig zu gewähren, wenn es um den Schutz rechtsunkundiger Parteien geht. Bei einem klaren Anfechtungswillen soll die rechtsunkundige Partei aufgrund formeller Mängel nicht um das Rechtsmittel gebracht werden.
Es würde aber ein offenbarer Missbrauch vorliegen, bei welchem sich keine Gewährung einer Nachfrist rechtfertigt, wenn ein Anwalt oder sonstige rechtskundige Person eine bewusst mangelhafte Rechtsschrift einreicht, um damit eine Nachfrist zur Begründung zu erwirken. Dies würde dazu führen, dass mit einem solchen Vorgehen zusätzliche Zeit für die Begründung erwirkt werden könnte. Das Bundesgericht hält aber auch fest, dass kein solcher Missbrauch vorliege, wenn aufgrund der Sachlage eine rechtsgenügliche Einsprache- oder Beschwerdebegründung praktisch nicht ohne Aktenkenntnis möglich ist, die nicht rechtskundige versicherte Person, welche selber die Akten nicht besitzt, in gutem Glauben erst kurz vor Ablauf der Anfechtungsfrist einen Rechtsvertreter mandatiert, und diesem weder eine rechtzeitige Aktenbeschaffung noch eine sonstige hinreichende Beurteilung des Sachverhalts (z.B. aufgrund eines Instruktionsgesprächs mit dem Klienten) möglich ist. In diesen Fällen sei es genügend, wenn die Akten unverzüglich eingeholt werden und nach deren Eingang die innert Frist vorsorglich eingereichte Beschwerde mit einer Begründung ergänzt.
Bezogen auf den vorliegenden Fall erkannte das Bundesgericht, dass die Rechtsschutzversicherung, bei welcher der Rechtsvertreter von A angestellt war, nicht erst kurz vor Ablauf der Einsprachefrist, sondern bereits am 2. August 2021 mandatiert worden war, und die Akten schon mit E-Mail vom 6. August 2021 zugestellt erhielt. Es hätte daher genügend Zeit zur Verfügung gestanden, bis zum Ablauf der Einsprachefrist am 14. September 2021 eine den formellen Anforderungen rechtsgenügliche Einsprache einzureichen. Das Bundesgericht hielt deshalb fest, dass die Gewährung einer Nachfrist bis zum 26. September 2021 deshalb auf eine unzulässige Verlängerung der nicht erstreckbaren Einsprachefrist hinausläuft, und stützte den Nichteintretensentscheid der Suva.
Vorgebracht wurde weiter, dass durch die – wenn auch unzulässigerweise erfolgt – gewährte Nachfrist bis zum 26. September 2021 sich A resp. ihr Rechtsvertreter auf diese Frist vertrauen durfte, und deshalb auf die Einsprache einzutreten und ein materieller Entscheid zu fällen sei. Hierzu führt das Bundesgericht aus, dass der Rechtsvertreter von A wissen musste, dass die Einsprachefrist als gesetzliche Frist nicht erstreckbar ist, und er deshalb nicht auf die offensichtlich zu Unrecht erteilte Nachfrist hätte vertrauen dürfen. Er sei deshalb in seinem Vertrauen in die gesetzwidrige Einräumung einer Nachfrist nicht zu schützen ist. Dadurch, dass im Zeitpunkt der gewährten Fristerstreckung am 15. September 2021 die Einsprachefrist bereits abgelaufen war, verleitet die Gewährung der Nachfrist auch nicht zu nachteiligen Dispositionen, so das Bundesgericht weiter.
Würdigung
Es ist von grosser Wichtigkeit, dass die Einsprache (wie auch andere Rechtsmittel) innert Frist und entsprechend den formellen Anforderungen an Rechtsbegehren und Begründung eingereicht werden. Dies gilt auch dann, wenn mit der Einsprache noch eine Akteneinsicht und eine Frist zur ergänzenden Begründung der Einsprache verlangt wird. Ohne diese Voraussetzungen zu erfüllen, ist die Rechtsmittelfrist nicht eingehalten, was zu einem Nichteintreten führt. Das Bundesgericht hat dies deutlich festgehalten.
Das Bundesgericht hat anerkannt, dass sich ein über 18-jähriges Kind noch «in Ausbildung» befindet, obwohl es gleichzeitig ein monatliches Einkommen erzielt, welches über der für Ansprüche aus der 1. Säule geltenden Maximallimite liegt, womit ein Rentenanspruch gegenüber der Pensionskasse besteht. Geht es im Bereich der beruflichen Vorsorge (2. Säule) darum, eine Frage zu lösen, auf […]
BVG-Kinderrentenleistungen: «in Ausbildung» trotz Einkommen von über Fr. 2’390.00
Das Bundesgericht hat anerkannt, dass sich ein über 18-jähriges Kind noch «in Ausbildung» befindet, obwohl es gleichzeitig ein monatliches Einkommen erzielt, welches über der für Ansprüche aus der 1. Säule geltenden Maximallimite liegt, womit ein Rentenanspruch gegenüber der Pensionskasse besteht.
Geht es im Bereich der beruflichen Vorsorge (2. Säule) darum, eine Frage zu lösen, auf welche weder das Gesetz (BVG) noch das Vorsorgereglement der betroffenen Pensionskasse Antwort geben, so greift das Bundesgericht immer wieder auf Vorgaben aus der AHV/IV (1. Säule) zurück, mit welchen dann die Lücken gefüllt werden sollen. Begründet wird dies mit der gleichen Zielrichtung von 1. und 2. Säule unseres Vorsorgesystems.
Damit für ein über 18-jähriges Kind einer verstorbenen oder IV- bzw. AHV-berenteten Person Rentenanspruch gegenüber der Pensionskasse besteht (Waisen- oder Kinderrente), muss es sich in Ausbildung befinden, ansonsten wird keine Rente ausbezahlt. Zur Beantwortung der Frage, ob von Ausbildung auszugehen ist, liefert der für die 1. Säule geltende Art. 49bis AHVV dazu verschiedene Anhaltspunkte: In Ausbildung ist ein Kind, wenn es sich auf der Grundlage eines ordnungsgemässen, rechtlich oder zumindest faktisch anerkannten Bildungsganges systematisch und zeitlich überwiegend entweder auf einen Berufsabschluss vorbereitet oder sich eine Allgemeinausbildung erwirbt, die Grundlage bildet für den Erwerb verschiedener Berufe. Ausbildung ist ebenfalls gegeben, wenn das Kind Brückenangebote wahrnimmt wie Motivationssemester und Vorlehren sowie Au-pair- und Sprachaufenthalte, sofern sie einen Anteil Schulunterricht enthalten. Nicht als in Ausbildung gilt jedoch ein Kind, wenn es ein durchschnittliches monatliches Erwerbseinkommen erzielt, das höher ist als die maximale volle Altersrente der AHV.
Jüngst hatten nun die BundesrichterInnen einen Fall zu beurteilen, in welchem eine volljährige Waise neben dem Fachhochschulstudium in Betriebsökonomie zu 50% arbeitstätig war und dabei nicht unerheblich verdiente, was gemäss kantonalem Gericht dazu führen sollte, dass ein PK-Waisenrentenanspruch nicht mehr gegeben war. Im zur amtlichen Publikation bestimmten Urteil vom 20. Juli 2022 nahm dann das Bundesgericht – wie erwartbar – zunächst auf Art. 49bis AHVV Bezug und hielt fest, dass für den Bedeutungsgehalt des Ausbildungsbegriffs die dortige Definition massgebend ist. Neben diesem qualitativen Gesichtspunkt wandte sich das Gericht sodann dem quantitativen Element zu, d.h. der Frage, ob in der beruflichen Vorsorge dieselbe Einkommenslimite wie in der 1. Säule gilt, wo ab einem Betrag entsprechend einer maximalen AHV-Rente (aktuell Fr. 2’390.00 pro Monat) kein Leistungsanspruch mehr besteht. Und hier wurde die spezifische Zielsetzung der 2. Säule hervorgehoben: Anders als im AHV-/IV-Bereich, wo die Existenzsicherung zu gewährleisten ist, geht es in der beruflichen Vorsorge um den (verfassungsmässig vorgegebenen) Zweck der Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards. Nach Bundesgericht hat dies zur Folge, dass die hinsichtlich Deckung des reinen Lebensbedarfs in der 1. Säule eingeführte Einkommenslimite für die Belange der beruflichen Vorsorge nicht gilt. Im vorliegenden Fall bestand also für die je halbzeitig in Ausbildung stehende und erwerbstätige junge Person trotz fehlendem Anspruch auf eine AHV-Waisenrente gegenüber der Pensionskasse ihres verstorbenen Vaters eine Waisenrentenberechtigung. Der guten Ordnung halber hat das Bundesgericht dann abschliessend noch festgehalten, dass rechtsmissbräuchliche Vorgehensweisen natürlich nicht zur Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs führen.
Insgesamt erweist sich die Argumentation des Bundesgerichts ohne Weiteres als nachvollziehbar. In Zeiten der gerade auch in der 2. Säule allgegenwärtigen Leistungssenkungsmassnahmen ist dies für einmal eine positive Nachricht für Versicherte.
Urteil BGer 9C_543/2021 vom 20. Juli 2022 (zur amtl. Publikation vorgesehen)
Grundsätzlich sind Krankenkassen verpflichtet, ihre Leistungspflicht zu überprüfen, wenn sie die Rechnung eines Arztes oder einer Ärztin erhalten. Die Tätigkeit von Arztpraxen wird jedoch häufig auch erst im Nachhinein überprüft. Das führt dann zu sehr hohen Rückforderungen von Krankenkassen gegenüber Ärztinnen und Ärzten. Mit eben einem solchen Fall hat sich das Bundesgericht am 21. März […]
Tarifkontrolle durch Krankenkassen / Rückforderung von ärztlichen Leistungen
Grundsätzlich sind Krankenkassen verpflichtet, ihre Leistungspflicht zu überprüfen, wenn sie die Rechnung eines Arztes oder einer Ärztin erhalten. Die Tätigkeit von Arztpraxen wird jedoch häufig auch erst im Nachhinein überprüft. Das führt dann zu sehr hohen Rückforderungen von Krankenkassen gegenüber Ärztinnen und Ärzten. Mit eben einem solchen Fall hat sich das Bundesgericht am 21. März 2022 zu beschäftigen. Gegenstand des Verfahrens war die Rückforderung von Leistungen für Behandlungen mit humanidentischen Hormonen nach der sogenannten «Rimkus-Methode». Die Krankenkassen verlangten für den Zeitraum von Mai 2016 bis April 2020 einen Betrag von Fr. 198’743.70 zurück. Im kantonalen Verfahren wurde festgehalten, dass diese Leistungen nur bei Wechseljahrbeschwerden für Frauen als Pflichtleistung nach der obligatorischen Grundversicherung in Frage kommen. Das kantonale Gericht hat dann aufgrund von 17 Stichprobenfällen die Annahme getroffen, dass 12 % der vorgenommenen Behandlungen nicht Pflichtleistungen seien und einen Rückerstattungsbetrag von Fr. 108’802.95 postuliert. Vor Bundesgericht war umstritten, ob die 17 ausgewählten Fälle überhaupt repräsentativ sind und ob die Vorinstanz die 17 Fälle auch richtig eingeordnet hat (Pflichtleistung/Nichtpflichtleistung). Das Bundesgericht hat in einem sehr kurzen Urteil im Wesentlichen festgehalten, dass das Vorgehen der Vorinstanz nicht offensichtlich unzutreffend sei und hat dieses Vorgehen geschützt.
Schlussfolgerung:
Das Urteil zeigt einmal mehr die schwierige Rechtsposition, welche Ärztinnen und Ärzte in Rückforderungsverfahren haben. In solchen Verfahren stellen sich meistens äusserst komplexe Fragen. Die Gerichte haben hier die Tendenz, sehr einfache Lösungen zu treffen, was sich eben häufig zu Ungunsten der Ärztinnen und Ärzte auswirkt.
Die 1987 geborene spanische Sexarbeiterin war erst einige Wochen in der Schweiz erwerbstätig, als sich an ihrem Arbeitsort ein bewaffneter Raubüberfall ereignete. Sie rettete sich mit einem Sprung aus dem 1. Stock des Gebäudes und erlitt dabei Frakturen am Rücken und an den Füssen. Als Folge dieses Unfallereignisses konnte sie zwar die angestammte Tätigkeit nicht […]
Die 1987 geborene spanische Sexarbeiterin war erst einige Wochen in der Schweiz erwerbstätig, als sich an ihrem Arbeitsort ein bewaffneter Raubüberfall ereignete. Sie rettete sich mit einem Sprung aus dem 1. Stock des Gebäudes und erlitt dabei Frakturen am Rücken und an den Füssen. Als Folge dieses Unfallereignisses konnte sie zwar die angestammte Tätigkeit nicht mehr ausüben. In einer adaptierten Tätigkeit wurde sie als 100 % arbeitsfähig eingeschätzt.
Bei der Bemessung des Invaliditätsgrades war das Valideneinkommen (Einkommen, das die Versicherte ohne die Gesundheitsschädigung erzielten würde) umstritten. Die Ersatzkasse UVG stellte sich auf den Standpunkt, dass die Versicherte im Gesundheitsfall weiterhin als Sexarbeiterin gearbeitet hätte. Das kantonale Gericht hat zur Ermittlung des Valideneinkommens auf Tabellenwerte zurückgegriffen mit der Begründung, dass die Versicherte im Gesundheitsfall irgendeine Tätigkeit als ungelernte Arbeiterin ausüben würde. Es sei ihr Ziel gewesen, in Europa möglichst viel Geld zu verdienen, um später zu studieren. Zudem habe sie ihre Familie in Paraguay finanziell unterstützt. Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat die Ersatzkasse alsdann geltend gemacht, die Versicherte würde nur als Haushalthilfe oder Raumpflegerin im Gesundheitsfall tätig sein.
Das Bundesgericht hat festgestellt, dass die kantonale Instanz zutreffend eine weitere Tätigkeit als Sexarbeiterin verneint hatte (die Arbeitstage seien sehr lange gewesen, sie habe kaum schlafen können, zudem sei sie teilweise schwer misshandelt und vergewaltigt worden).
Zur Frage, ob die Tabellenwerte für sämtliche anderen einfachen Tätigkeiten oder eben ausschliesslich Haushalts- und Raumpflegerinnentätigkeiten beizuziehen sind, hat das Bundesgericht dargelegt, dass die Versicherte zwar rund 5 ½ Jahre in Spanien im Haushalt und Erwerbsbereich tätig gewesen sei. Die einzige Motivation zum Verlassen des Heimatlandes sei jedoch gewesen, möglichst viel Geld zu verdienen. Aufgrund der Wirtschaftskrise in ihrem Heimatland sah sie sich gezwungen, eine Weile in der Schweiz zu arbeiten. Zwar sei es durchaus naheliegend, dass sie vorab im bereits bekannten Berufsfeld hätte eine Stelle suchen wollen. Stellenbemühungen in diesem Bereich seien jedoch nicht belegt. Vor diesem Hintergrund könne davon ausgegangen werden, dass ihr «sämtliche anderen Tätigkeiten» offen gestanden hätten. Das Bundesgericht schützte deshalb die Zuspache der kleinen Invalidenrente von 15 %.
Würdigung:
Bemerkenswert ist, dass das Bundesgericht – der Vorinstanz folgend – für die Ermittlung des Valideneinkommens auf den Gesamtwert der LSE-Tabellen und nicht auf den spezifischen Wert für Haushaltarbeiten (welcher tiefer ist) abgestellt hat. Dies mit der Begründung, dass die Versicherte doch versucht war, einen möglichst hohen Lohn zu erzielen. Im Umkehrschluss lässt sich daraus ableiten, dass bei Tieflohnarbeitenden eben nur im Ausnahmefall davon ausgegangen werden kann, dass sich die Versicherte auch in Zukunft mit einem nur sehr tiefen Lohn zufriedengegeben hätte. Bei richtiger Interpretation des bundesgerichtlichen Urteils kann davon nur noch in Ausnahmefällen ausgegangen werden.
Link zum Youtube-Video, welches das Urteil detailliert bespricht Die Suva bezahlte für einen verunfallten Arbeitnehmer die Taggelder an den Arbeitgeber aus. Dieser leitete die Taggelder nur teilweise an den Arbeitnehmer weiter und behielt rund Fr. 15’000.00 zurück mit der Begründung, er hätte noch eine offene Forderung gegen den Arbeitnehmer (Verrechnung). Eine solche Verrechnung ist nach […]
Die Suva bezahlte für einen verunfallten Arbeitnehmer die Taggelder an den Arbeitgeber aus. Dieser leitete die Taggelder nur teilweise an den Arbeitnehmer weiter und behielt rund Fr. 15’000.00 zurück mit der Begründung, er hätte noch eine offene Forderung gegen den Arbeitnehmer (Verrechnung).
Eine solche Verrechnung ist nach dem Unfallversicherungsgesetz unzulässig. Die Taggelder der Unfallversicherung haben den Zweck, den durch den Unfall verursachten Lohnausfall auszugleichen. Ein Rückbehalt resp. eine Verrechnung mit anderen Forderungen durch den Arbeitgeber würde diesem Zweck widersprechen und wurde deshalb als unzulässig erachtet.
Anmerkungen: Das Verbot der „Verrechnung“ ist Ausfluss des Grundsatzes, dass die Taggelder der Unfallversicherung (und auch Krankentaggelder) den Versicherten zukommen müssen. Erst wenn die Taggelder bei den versicherten Personen „angekommen“ sind, ist die Versicherung von ihrer Leistungspflicht befreit. Insofern haben die Versicherten eine sehr starke Stellung gegenüber den Versicherungen und den Arbeitgebern in Fällen von Arbeitsunfähigkeiten.
Werden die Taggelder fälschlicherweise anderweitig verwendet und „kommen bei den Versicherten nicht an“ können diese von den Versicherungen nochmals gefordert werden. Diese haben ein Doppelzahlungsrisiko. So war es auch im vorliegenden Fall. Die Suva hat dann die doppelt bezahlten Taggelder vom Arbeitgeber zurückgefordert.
Praxisempfehlung: Wenn ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin Unfall- und Krankentaggelder nur unzuverlässig weiterleitet, wenden Sie sich an die Versicherung und fordern Sie die direkte Ausrichtung der Taggelder.
Urteil BGer 8C_742/2021 vom 4. März 2022 (zur Publikation vorgesehen)
In einem neuen Urteil hatte sich das Bundesgericht wieder einmal mit der Frage zu beschäftigen, in welchen Fällen bei unregelmässig beschäftigten Teilzeiterwerbstätigen auch eine Nichtberufsunfallversicherung besteht. Nach Art. 13 Abs. 1 UVV sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur dann auch gegen Nichtberufsunfälle versichert, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit bei einem Arbeitgeber mindestens acht Stunden beträgt. Bei […]
Nichtberufsunfallversicherung bei unregelmässig beschäftigten Teilzeiterwerbstätigen
In einem neuen Urteil hatte sich das Bundesgericht wieder einmal mit der Frage zu beschäftigen, in welchen Fällen bei unregelmässig beschäftigten Teilzeiterwerbstätigen auch eine Nichtberufsunfallversicherung besteht. Nach Art. 13 Abs. 1 UVV sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur dann auch gegen Nichtberufsunfälle versichert, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit bei einem Arbeitgeber mindestens acht Stunden beträgt.
Bei regelmässig beschäftigten Arbeitnehmern bereitet die Abklärung, ob diese notwendigen acht Stunden pro Woche erreicht sind oder nicht, in aller Regel keine grossen Schwierigkeiten. Bei unregelmässig Beschäftigten, insbesondere bei im Stundenlohn Angestellten, können sich hier hingegen Fragen der Berechnungsweise ergeben. Mit genau einem solchen Fall hatte sich das Bundesgericht kürzlich auseinanderzusetzen.
Das Bundesgericht erinnerte hier an seine bisherige diesbezügliche Rechtsprechung. Ob eine unregelmässig teilzeitbeschäftigte Person die Minimalgrenze von wöchentlich acht Arbeitsstunden erreicht, um für Nichtberufsunfälle versichert zu sein, kann aufgrund der Berechnungsmethode bestimmt werden, die die Ad-hoc-Kommission Schaden UVG in der Empfehlung Nr. 7/87 vom 4. September 1987 (Revision vom 5. April 2019) vorschlägt. Auch wenn diese Empfehlung das Gericht grundsätzlich nicht bindet, sieht sie nach Ansicht des Bundesgerichts einfach anzuwendende Kriterien vor und ermöglicht eine Gleichbehandlung der Versicherten, weshalb das Bundesgericht sich auf diese Regelung stützt und diese anwendet.
Nach dieser Empfehlung Nr. 7/87 ist nach Möglichkeit die durchschnittliche Beschäftigung im dem Unfall vorausgegangenen Jahr zu betrachten. Die Berechnung erstreckt sich über die letzten drei oder zwölf Monate vor dem Unfall, wobei die für den Versicherten günstigere Variante zählt (Ziff. 1). Die weiteren Ziffern der Regelung enthalten weitere Details zur Berechnung in Spezialfällen. Es Grundsätzlich ist somit also für die Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit in einer massgeblichen 3- oder 12-monatigen Periode vor dem Unfall nur effektive Arbeitswochen zusammenzurechnen, um zu eruieren, ob die Schwelle von acht Stunden pro Woche für die Nichtberufsunfallversicherung erreicht wurde. Diese Schwelle war im vorliegenden Fall weder in den letzten drei noch in den letzten zwölf Monaten erreicht, weshalb keine Nichtberufsunfalldeckung bestand.
Bei unregelmässig Beschäftigten in Kleinstpensen ist daher zu empfehlen, diese Regelung der Ad-hoc-Kommission im Auge zu behalten, und sollte sich zeigen, dass inskünftig das Pensum unter die Acht-Stunden-Schwelle fällt resp. bereits darunter liegt, entsprechende Vorkehrungen zu treffen sind und der Unfallversicherungsschutz über die Krankenversicherung abzuschliessen ist.
In einem laufenden IV-Verfahren, in dem noch Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit vorgenommen werden, besteht unter gewissen Voraussetzungen eine sogenannte Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung. Rechtsprechungsgemäss besteht diese Vorleistungspflicht dann, wenn eine versicherte Person gesundheitlich bedingt in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, aber in der Lage ist, eine angepasste Tätigkeit zu einem Pensum von mindestens 20 Prozent anzunehmen. In […]
Vorleistungspflicht: Unterschiedliche Beurteilungen der Arbeitsfähigkeit – IV und ALV lehnen ab. Wer ist leistungspflichtig?
In einem laufenden IV-Verfahren, in dem noch Abklärungen zur Arbeitsfähigkeit vorgenommen werden, besteht unter gewissen Voraussetzungen eine sogenannte Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung. Rechtsprechungsgemäss besteht diese Vorleistungspflicht dann, wenn eine versicherte Person gesundheitlich bedingt in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, aber in der Lage ist, eine angepasste Tätigkeit zu einem Pensum von mindestens 20 Prozent anzunehmen. In diesem Fall richtet die Arbeitslosenversicherung die volle Arbeitslosenentschädigung aus. Der Zweck der Vorleistungspflicht liegt darin, für die Zeit, in welcher der Anspruch auf Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht feststeht (Schwebezustand), Lücken im Erwerbsersatz zu vermeiden. Nach abgeschlossenem IV-Verfahren erfolgt sodann je nach Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eine definitive Aufteilung der Leistungspflicht zwischen der Invalidenversicherung und der Arbeitslosenversicherung.
Diese Voraussetzung der angepassten Arbeitsfähigkeit von mindestens 20 % besteht, weil eine Voraussetzung des Leistungsanspruchs gegenüber der Arbeitslosenversicherung die Vermittlungsfähigkeit ist, was auch im Rahmen der Vorleistungspflicht erfüllt sein muss.
Während dem laufenden IV-Verfahren stellen sich aber immer auch Abgrenzungsfragen. Insbesondere die Frage, auf welche Beurteilung der Arbeits(un)fähigkeit abzustellen ist, wenn unterschiedliche Beurteilungen, beispielsweise zwischen den behandelnden Ärzten und einem durch die IV eingeholten gutachterlichen Beurteilung.
Im vorliegenden Fall hatte sich das Bundesgericht mit einem genau solchen Fall auseinanderzusetzen. Die Arbeitslosenversicherung und das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden stellten sich auf den Standpunkt, dass gestützt auf die Beurteilung des behandelnden Psychiaters eine vollständige Arbeitsunfähigkeit auch für einen Arbeitsversuch bestehe, der Versicherte deshalb objektiv vermittlungsunfähig sei und deshalb die Voraussetzungen zum Bezug von Arbeitslosentaggeldern auch im Rahmen der Vorleistungspflicht nicht gegeben seien.
Demgegenüber machte der Versicherte im Verlauf des noch laufenden IV-Verfahrens, dass er durch die IV mit Vorbescheid als zu mindestens 80 % arbeitsfähig in der angestammten sowie in einer leidensadaptierten Tätigkeit einschätze, und deshalb die gesetzliche Vermutung der Vermittlungsfähigkeit gelte.
Das Bundesgericht musste im vorliegenden Fall feststellen, dass zwar im Verlauf des Verfahrens auf das laufende IV-Verfahren hingewiesen und der Vorbescheid angeblich der Arbeitslosenversicherung eingereicht wurde. Diese Dokumente waren aber nicht in den Verfahrensakten enthalten. Aufgrund des geltenden Untersuchungsgrundsatzes wären die ALV und das kantonale Gericht verpflichtet gewesen, die Akten entsprechend zu ergänzen und sind erst dann in der Lage, unter Berücksichtigung der durch den Versicherten geltend gemachten teilweisen Arbeitsfähigkeit über die Vorleistungspflicht zu entscheiden zu können und beurteilen zu können, ob nunmehr nicht mehr von einer offensichtlichen Vermittlungsunfähigkeit auszugehen wäre. Für diese weiteren Abklärungen hat das Bundesgericht die Angelegenheit an das kantonale Gericht zurückgewiesen.
Das bundesgerichtliche Urteil zeigt beispielhaft auf, welche Auswirkungen unterschiedliche Beurteilungen der Arbeitsfähigkeit auch bei der Frage der Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung haben kann, und wie wichtig es ist, dass die Versicherungsträger und die Gerichte ihrer Abklärungspflicht bei entsprechenden Hinweisen hinreichend nachkommen.
Nach dem Berufsabschluss als Zimmermann studierte der Versicherte an der Technikerschule. Im Rahmen einer befristeten Anstellung stürzte er von der Leiter und verletzte sich schwer (Schädelbasistrauma mit schwerem Schädelhirntrauma). Als Folge resultierte eine bleibende posttraumatische Epilepsie. Die Suva übernahm vorerst Heilbehandlungen und ermittelte eine 50 %-ige Invalidität. Daraus resultierte aber lediglich eine monatliche Rente von […]
Ungenügender Unfallversicherungsschutz während Weiterbildungen
Nach dem Berufsabschluss als Zimmermann studierte der Versicherte an der Technikerschule. Im Rahmen einer befristeten Anstellung stürzte er von der Leiter und verletzte sich schwer (Schädelbasistrauma mit schwerem Schädelhirntrauma). Als Folge resultierte eine bleibende posttraumatische Epilepsie.
Die Suva übernahm vorerst Heilbehandlungen und ermittelte eine 50 %-ige Invalidität. Daraus resultierte aber lediglich eine monatliche Rente von Fr. 204.90. Dies, weil für den versicherten Verdienst bei der Invalidenrente im Unfallversicherungsrecht der im Jahr vor dem Unfall erzielte Lohn massgeblich ist (Art. 15 Abs. 1 UVG). Im Jahr vor dem Unfall war der Versicherte aufgrund des Studiums nur in einem befristeten Arbeitsverhältnis von Anfang September bis Anfang Oktober tätig und erzielte lediglich einen Lohn von rund Fr. 6’000.00 in dieser Zeit.
Er gelangte ans Bundesgericht und berief sich auf eine Sonderbestimmung zur Ermittlung des versicherten Verdienstes (Art. 24 Abs. 3 UVV), gemäss welcher bei Versicherten, welche wegen beruflicher Ausbildung am Tage des Unfalls nicht den Lohn eines Versicherten mit voller Leistungsfähigkeit derselben Berufsart erzielen, auf den Lohn abgestellt werden muss, den sie als voll Leistungsfähige (Ausgebildete) erzielen würden.
Das Bundesgericht hat sich sehr intensiv mit der bis anhin strengen Rechtsprechung zu dieser Bestimmung auseinandergesetzt, jedoch im Wesentlichen bestätigt, dass diese Bestimmung bei Werkstudenten (wie im vorliegenden Fall) nicht zur Anwendung kommt, da sie nur für die Ausbildungen bezogen auf die «primären Ausbildungsziele» anzuwenden sei (E. 4). Es ging auch auf die Kritik in der Lehre ein (E. 5) und konstatierte mit der Vorinstanz, dass für unregelmässig Beschäftige das aktuelle UVG keinen ausreichenden Versicherungsschutz biete. Das würde auch unter dem Solidaritätsgedanken «Fragen aufwerfen».
Es verneinte jedoch das Vorliegen einer unechten Deckungslücke, die von der Rechtsprechung geschlossen werden könnte und stellte fest, dass nur der Gesetzgeber hier eine andere Lösung treffen könnte, was bereits einmal zur Diskussion stand, dann offenbar aber wieder verworfen wurde (E. 4.6.2).
Der Versicherte und auch das Bundesgericht haben «den Finger» auf einen sehr «wunden Punkt» gelegt. Junge Versicherte und Personen in Ausbildung können in der Tat in ganz gravierende Deckungslücken fallen. Es besteht erheblicher Handlungsbedarf und bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber nun tätig wird und die offensichtliche Gesetzeslücke schliesst.
Nach einem Unfallereignis stellte die Unfallversicherung (Suva) die Leistungen ein, wogegen sich der Versicherte mit Einsprache zur Wehr setzte. Nach einem negativen Einspracheentscheid erschien der Versicherte am letzten Tag der Frist mit einem als «Beschwerde/Einspruch» bezeichneten Schreiben bei der Suva. Diese quittierte den Empfang des Schreibens, scannte dieses ein und händigte es dem Versicherten wieder […]
Nach einem Unfallereignis stellte die Unfallversicherung (Suva) die Leistungen ein, wogegen sich der Versicherte mit Einsprache zur Wehr setzte. Nach einem negativen Einspracheentscheid erschien der Versicherte am letzten Tag der Frist mit einem als «Beschwerde/Einspruch» bezeichneten Schreiben bei der Suva. Diese quittierte den Empfang des Schreibens, scannte dieses ein und händigte es dem Versicherten wieder aus. Das alles mit dem Hinweis, dass an sich das Sozialversicherungsgericht zuständig wäre, die Suva die Beschwerde aber dorthin weiterleiten würde. Das hat die Suva dann auch getan. Zwei Tage nach Ablauf der Frist überbrachte der Versicherte sein Schreiben selber auch dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Letzteres entschied auf Nichteintreten mit der Begründung, dass die Eingabe vom 15. Februar 2021 nicht versehentlich bei der Suva eingereicht worden war, sondern er darüber informiert wurde, dass er diese Eingabe dem Sozialversicherungsgericht einreichen müsse.
Das Bundesgericht stützte den Nichteintretensentscheid. Es hielt zwar fest, dass die Frage der «Versehentlichkeit» (Art. 30 ATSG) vorliegend nicht massgeblich sei. Es hielt auch fest, dass die Eingabe grundsätzlich den Anforderungen an eine Beschwerde im Sinne von Art. 61 lit. b ATSG genügen würde. Es beschied jedoch, dass der Versicherte am 15. Februar 2021, als er das Schreiben der Suva überbrachte, eben keinen «Beschwerdewillen» zum Ausdruck brachte, da er das Schriftstück wieder mitgenommen hatte. Daran ändert offenbar auch nichts, dass die Suva den Empfang mittels Stempel bestätigt, das Schreiben eingescannt und schlussendlich auch dem Sozialversicherungsgericht weitergeleitet hatte.
Diese Einschätzung (allein aufgrund des «Wiedermitnehmens» des Beschwerdeschreibens den Beschwerdewillen zu verneinen) erscheint zu streng. Dies umso mehr, als dass die Suva das Schreiben wohl nur wieder zurückgegeben hat, weil sie zwischenzeitlich sämtliche Akten elektronisch führt und auch zentral versendet. Ob eine Weiterleitung seitens der Suva ohne Einscannen technisch überhaupt möglich gewesen wäre, hat das Bundesgericht gar nicht näher abgeklärt. Ebenso wenig die genaueren Umstände für die Wiederaushändigung des Schreibens durch die Suva an den Versicherten.
Im Rahmen des bundesgerichtlichen Verfahrens wurde des Weiteren eine Verletzung der Informations- und Aufklärungspflicht durch die Suva gerügt (Art. 17 Abs. 2 ATSG). Diese Rüge wurde mit dem Hinweis verworfen, dass es nicht Aufgabe der Suva sei, juristisches Personal zur Verfügung zu stellen und persönliche Eingaben unmittelbar rechtlich zu prüfen. Diese Argumentation ist insoweit fragwürdig, als vom Versicherten ja eben erwartet wird, dass er die Tragweite seines Handelns jederzeit erkennt.
Würdigung
Wenn ein Versicherter ein Schriftstück verfasst, in welchem er klar zum Ausdruck bringt, dass er mit einem Entscheid nicht einverstanden ist und dieses auch noch persönlich einer Stelle, welche er als dafür zuständig hält, übergibt, so hat er – nach Ansicht des Autors – damit mehr als ausreichend seinem Willen, den Fall gerichtlich überprüfen zu lassen, Ausdruck verliehen. Umso mehr, wenn die Stelle, der er das Schreiben übergeben hat (hier die Suva), ihm zusichert, die Beschwerde ans zuständige Gericht weiterzuleiten, wozu sie gesetzlich (Art. 30 ATSG) auch verpflichtet ist. Da kann und darf es nicht darauf ankommen, ob das Schriftstück dem Versicherten seitens der Suva wieder ausgehändigt wurde. Daraus abzuleiten, dass er die Beschwerde nicht habe erheben wollen, geht deutlich zu weit. Mit der Übergabe des Schriftstücks an die (wenngleich auch unzuständige, vermeintliche) Beschwerdestelle wurde das Rechtsmittel gültig erhoben. Ein Rückzug müsste erklärt werden. Nur die Rückgabe des Schriftstückes darf nicht als Rückzugserklärung gewertet werden.