Kein Geltendmachen vertraglicher Ansprüche im Strafverfahren

by Markus Steudler

Das Bundesgericht hat in einem – zur amtlichen Publikation vorgesehenen – Urteil entschieden, dass im Strafverfahren adhäsionsweise keine vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden können.

 

Zivilprozesse sind sehr aufwändig, mit einem hohen Kostenrisiko verbunden und können sehr lange dauern. Um Personen, die durch eine Straftat geschädigt worden sind, von solchen Anstrengungen, finanziellen Risiken und damit verbundenen psychischen Belastungen zu entlasten, besteht die Möglichkeit, dass Geschädigte als Privatkläger ihre zivilrechtlichen Ansprüche (Schadenersatz und Genugtuung) im Rahmen des gegen den Straftäter geführten Strafverfahrens adhäsionsweise geltend machen. Das hat nebenher den grossen Vorteil, dass es die Strafbehörden sind, welche die Beweise gegen Schädiger und Täter zusammentragen. Dies gilt insbesondere auch in Fällen von fahrlässigen Körperverletzungen, beispielsweise durch einen Arzt, der widerrechtlich einen Patienten verletzt oder durch einen Bergführer, der seinen Kunden pflichtwidrig unvorsichtig in eine Lawine führt.

Was in der Theorie gut klingt, ist in der Praxis mit vielen Unwägbarkeiten und Problemen behaftet. Die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte mögen es meist nicht, wenn Geschädigte zivilrechtliche Ansprüche ins Strafverfahren einbringen oder sogar das Strafverfahren nur wegen dessen Vorteile im Zivilpunkt überhaupt erst einleiten – denn das verkompliziert das Strafverfahren und macht es aufwändiger. Das Bundesgericht hat deshalb den Grundsatz geschaffen, dass das Strafverfahren kein „blosses Vehikel“ zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche sein darf, und hat deshalb unter anderem das Recht der Privatklägerschaft, ein Strafurteil beim Bundesgericht mit einer Beschwerde anzufechten, stark eingeschränkt.

Ein vom Bundesgericht am 15. August 2022 erlassenes Urteil (6B_1310/2021) ist vom selben Geist geprägt: Das Bundesgericht schliesst vertragliche Forderungen des Privatklägers (gegen den Straftäter) vom Strafverfahren aus. Der Patient kann seine zivilrechtlichen Forderungen gegen seinen Arzt im Rahmen des Strafverfahrens somit nur auf ausservertragliche Gründe (insbesondere unerlaubte Handlung gemäss Art. 41 OR) stützen, nicht aber auf eine Verletzung seines Behandlungsvertrags. Dasselbe gilt für den Berggänger hinsichtlich seiner Forderungen gegen den Bergführer: er kann sich für seine Schadenersatzforderungen nur auf ausservertragliche, nicht aber auf vertragliche Grundlagen berufen.

Im vom Bundesgericht beurteilten Fall war durch die Vorinstanz (das Genfer Kantonsgericht) ein Freispruch des Beschuldigten von den Vorwürfen der Veruntreuung und des Betrugs ergangen bei gleichzeitiger Gutheissung der Zivilforderungen der Privatkläger. Diese hatten dem Unternehmen des Beschuldigten ein (nicht zurückbezahltes) Darlehen gewährt, wofür der Beschuldigte beim Vertragsabschluss seine solidarische Haftung erklärt hatte. Die Vorinstanz stützte die zugesprochenen Zivilansprüche einerseits auf die Solidarschuld des Beschuldigten. Andererseits argumentierte die Vorinstanz, der Beschuldigte habe sich die ihm verliehenen Gelder unter Verletzung seiner Befugnisse angeeignet, was eine unerlaubte Handlung (Art. 41 OR) darstelle. Darin hat das Bundesgericht einen Widerspruch gesehen: die Vorinstanz könne nicht gleichzeitig zum Schluss kommen, dass dem Beschuldigten (strafrechtlich) keine unrechtmässige Verwendung der anvertrauten Vermögenswerte vorgeworfen werden könne, ihm dann aber (zivilrechtlich) eine haftungsbegründende Aneignung der verliehenen Gelder vorwerfen. Die zivilrechtliche Verurteilung gestützt auf Art. 41 OR verletze Bundesrecht.

Somit blieb als Rechtsgrundlage noch die Solidarschuld, die der Beschuldigte mit der Darlehensnehmerin eingegangen war, was mit dem Strafvorwurf aber höchstens noch in einem indirekten Zusammenhang stand. Das Bundesgericht hatte bis anhin die in der Lehre umstrittene Frage, ob im Strafverfahren adhäsionsweise auch vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden können, nicht entschieden. Nun hat das höchste Gericht dafür eine Auslegung von Art. 122 Abs. 1 StPO vorgenommen. Es hat ausgeführt, nach dem Wortlaut von Art. 122 Abs. 1 StPO könne die geschädigte Person zivilrechtliche Ansprüche „aus der Straftat“ adhäsionsweise im Strafverfahren geltend machen. Die geltend gemachten zivilrechtlichen Ansprüche müssten somit aus der Straftat abgeleitet werden können. Sie müssten ihren Grund in den gleichen Tatsachen haben, aus denen die Strafbehörde die verfolgte Straftat ableite. Vertragliche Ansprüche beruhten jedoch auf einem Vertrag und nicht auf dem Vorliegen einer Straftat; sie seien davon unabhängig und könnten daher nicht aus einer strafrechtlich relevanten Handlung abgeleitet werden. Die Adhäsionsklage im Strafrecht ermögliche es dem Geschädigten, die Zuerkennung seiner Zivilansprüche zu erreichen, ohne ein separates Verfahren vor dem Zivilrichter einleiten zu müssen, und erspare ihm auf diese Weise damit üblicherweise verbundene (finanzielle, zeitliche und psychologische) Belastungen. Diese Möglichkeit sei durch die besondere Stellung gerechtfertigt, die eine von einer Straftat betroffene Person im Strafverfahren einnehme. Die Zivilklage gehe auf eine Straftat zurück. Vertragliche Ansprüche gehörten jedoch ihrem Wesen nach zum Zivilprozess und seien unabhängig von der Begehung einer strafbaren Handlung. Sie im Rahmen einer Zivilklage durch Beitritt zum Strafverfahren zuzulassen, würde gegen den Grundsatz verstoßen, dass das Strafverfahren kein „blosses Vehikel“ zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche sein dürfe. Die Auslegung von Art. 122 Abs. 1 StPO führe zum Schluss, dass der Begriff der Zivilklagen nicht alle privatrechtlichen Ansprüche erfasse sondern nur solche, die sich aus einer Straftat ableiten lassen würden, was bei vertraglichen Ansprüchen nicht der Fall sei. Vertragliche Ansprüche könnten somit nicht Gegenstand einer im Strafverfahren adhäsionsweise geltend gemachten Zivilklage sein; sie seien vom Anwendungsbereich von Art. 122 Abs. 1 StPO ausgeschlossen. Für vertragliche Ansprüche müsse die Privatklägerschaft auf den Zivilweg verwiesen werden.

Das Bundesgericht hat die vom Beschuldigten erhobene Beschwerde deshalb gutgeheissen. Weil die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung in der Regel etwas weniger streng sind als jene einer ausservertraglichen Haftung, werden die Rechte von Geschädigten durch das Urteil sicher eingeschränkt. Allerdings dürfte sich das nur dann auswirken, wenn der Beschuldigte vom Strafvorwurf freigesprochen wird, weil es dann für den Strafrichter schwieriger ist, eine unerlaubte Handlung gemäss Art. 41 OR anzuerkennen, wie der vorliegende Fall zeigt. Wird ein Beschuldigter des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung strafrechtlich freigesprochen, muss das nicht bedeuten, dass ihm zivilrechtlich kein Verschulden angelastet werden kann, zumal der Zivilrichter nicht an das Strafurteil gebunden ist (Beschuldigte im Strafrecht profitieren im Gegensatz zum Zivilrecht beispielsweise vom Grundsatz «in dubio pro reo»; auch sind im Strafrecht zugunsten des Beschuldigten subjektive, schuldentlastende Umstände zu berücksichtigen, wogegen sich das Verschulden derselben Person im Zivilrecht anhand eines objektiven Massstabs beurteilt; steht die Haftung eines Motorfahrzeughalters zur Diskussion – z.B. wenn ein Taxi verunfallt und der Fahrgast dabei verletzt wird –, beurteilt sich die Haftung des Taxifahrers und -halters ohnehin nicht oder nicht nur nach dessen Verschulden, sondern auch nach der Betriebsgefahr des Motorfahrzeugs). Ein Strafrichter wird in solchen Fällen zivilrechtliche Forderungen gestützt auf das Deliktsrecht aber äusserst zurückhaltend zusprechen. Insofern dürfte es diesfalls ohnehin nicht im Interesse eines Geschädigten sein, wenn seine Zivilforderung vom Strafrichter beurteilt wird. In solchen komplexeren Fällen erscheint es als zielführender, eine zivilrechtliche Verurteilung losgelöst vom Strafverfahren anzustreben, was ebenfalls in Bezug auf Forderungen gilt, die mit dem eigentlichen Strafvorwurf nichts zu tun haben. Insofern dürften sich die Auswirkungen des bundesgerichtlichen Urteils auf die Rechtsposition von Geschädigten in Grenzen halten.

 

Urteil BGer 6B_1310/2021 vom 15. August 2022 (zur Publikation vorgesehen)

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