„Unfall“ beim Treppensteigen – Unfallereignis zu bejahen oder nicht?
Als Unfall gilt nach Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Zentrales Element hier ist der ungewöhnliche äussere Faktor. Ein solcher liegt vor, wenn er nach einem objektiven Massstab nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen Lebensbereich alltäglich und üblich ist. Insbesondere bei einer unkoordinierten Bewegung ist ein solcher zu bejahen. Dabei gilt aber das Erfordernis, dass ein in der Aussenwelt begründeter Umstand den natürlichen Ablauf einer Körperbewegung «programmwidrig» beeinflussen muss. Das trifft nach der bundegerichtlichen Rechtsprechung insbesondere bei einem Stolpern, Ausgleiten oder Anstossen zu, oder wenn zur Verhinderung eines Ausgleitens versucht wird, eine reflexartige Abwehrhaltung ausgeführt wird.
Im vorliegenden durch das Bundesgericht zu prüfenden Fall trat der Versicherte beim Tragen von Material auf einer Treppe mit dem linken Fuss schlecht auf der Treppenstufe auf und ist nach unten auf den darunterliegenden Tritt eingebrochen. Es ist lediglich mit den Zehenspitzen auf die Treppenstufe aufgetreten. Bei diesem Vorgang zog er sich eine hochgradige Partialruptur der Achillessehne zu. Das Bundesgericht hatte darüber zu befinden, ob dieses Vorkommnis den Unfallbegriff nach Art. 4 ATSG zu bejahen ist und die Unfallversicherung dafür leistungspflichtig ist oder nicht.
Grundsätzlich stellt Treppensteigen eine alltägliche Lebensverrichtung und Beanspruchung des Körpers ohne erhöhtes Gefährdungspotential dar. Das Bundesgericht weist auf verschiedene Urteile hin, bei denen es schon Schädigungen im Zusammenhang mit Treppen hin. Zusammenfassend braucht es auch beim Treppensteigen oder bspw. dem Benutzer eines Steppers einen aussergewöhnlichen Vorgang resp. ein besonderes Vorkommnis, wie einen Treppensturz oder ein ausgewiesener Misstritt beim Treppensteigen.
Angewendet auf den vorliegenden Fall erblickte die Vorinstanz im «nicht richtig Auftreten» auf der Treppe eine solche ungewöhnliche unkoordinierte Bewegung. Das Bundesgericht hielt fest, dass ein Misstritt oder ein Sturz nicht vorgelegen hat, und der Versicherte auch nicht das Gleichgewicht verloren hat oder ins Leere getreten ist. Auch war die Treppe nicht ungewöhnlich beschaffen, wie bspw. vereist oder nass. All dies hätte für einen ungewöhnlichen äusseren Faktor gesprochen. Aber ein solcher lag nach Ansicht des Bundesgerichts entgegen der Vorinstanz nicht vor. Das blosse Auftreten mit nur dem vorderen Teil des Fusses und nicht mit der gesamten Fussfläche genügt hierfür nicht, es liegt kein ungewöhnlicher Vorgang vor. Das Absinken der Ferse auf den tiefer liegenden Tritt sprengt den Rahmen des zu Erwartenden beim Treppensteigen nicht, und stellt kein besonderes Vorkommnis dar. Ein Unfallereignis i.S.v. Art. 4 ATSG liegt deshalb nicht vor.
Bei der erlittenen Partialruptur der Achillessehne handelt es sich möglicherweise um eine Listenverletzung nach Art. 6 Abs. 2 UVG (unfallähnliche Körperschädigung). Da die Vorinstanz den Unfallbegriff bejaht hat, setzte es sich auch nicht mit dieser Frage auseinander. Hierfür wies das Bundesgericht die Angelegenheit an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung zurück.
Urteil BGer 8C_24/2022 vom 20. September 2022
Schreibe einen Kommentar