Krankenkasse verweigert Fettabsaugung – kantonales Gericht muss nochmals über die Bücher
Das Bundesgericht hat die Beschwerde einer 53-jährigen Versicherten gutgeheissen, die sich gegen die abgelehnte Kostenübernahme ihre Krankenkasse wehrte.
Die heute 53-jährige Versicherte leidet unter einem symptomatischen Lipödem (Stadium II), das sie in der Vergangenheit erfolglos konservativ (das heisst mittels Entstauungstherapie und Flachstrickversorgung) erfolglos behandelt hatte. Deshalb ersuchte ihre behandelnde Ärztin die Krankenkasse Swica um Übernahme der Kosten einer WAL-Liposuktion der Oberschenkel und Knie in zwei Sitzungen (Fettabsaugung mittels Wasserstrahl-assistierter Methode). Die Swica lehnte die Kostenübernahme ab und wurde mit ihrem Entscheid vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich geschützt, welches die von der Versicherten erhobene kantonale Beschwerde am 26. November 2021 ablehnte (Prozess-Nr. KV.2020.00064).
Das von der Versicherten angerufene Bundesgericht hat in seinem am 8. September 2022 gefällten Urteil vorab die relevanten rechtlichen Grundlagen in Erinnerung gerufen: Damit eine medizinische Behandlung übernommen wird, muss sie wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein (Art. 32 Abs. 1 KVG), wobei von Ärzten erbrachte Leistungen gestützt auf Art. 33 Abs. 1 KVG von der Krankenkasse zu bezahlen sind, sofern sie sich nicht auf einer vom Bundesrat erstellten Negativliste befinden oder sofern nicht die Krankenkasse den Beweis erbringt, dass die Leistung den gesetzlichen Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) nicht genügt. Es besteht somit eine gesetzliche Vermutung, dass die von Ärzten erbrachten Leistungen die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse entsprechen. Will ein Krankenversicherer beweisen, dass eine Therapie unwirksam, unzweckmässig oder unwirtschaftlich ist, muss er (so das Bundesgericht) aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes die Verhältnisse abklären – beispielsweise durch Einholung eines Gutachtens – und danach die Ablehnung verfügen. Die gesetzliche Pflichtleistungsvermutung könne im Einzelfall somit durch den Krankenversicherer im Rahmen einer Verfügung oder gestützt auf Art. 33 Abs. 1 KVG durch den Verordnungsgeber im Sinne einer abschliessenden Negativliste umgestossen werden.
Im Fall der 53-jährigen Versicherten war die strittige Liposuktion bei Lipödem im relevanten Zeitpunkt nicht auf der bundesrätlichen Negativliste aufgeführt; später ist sie sogar als grundsätzlich vergütungspflichtige Behandlung auf die Positivliste aufgenommen worden. Somit konnte die Krankenkasse sich von ihrer Leistungspflicht nur noch befreien, wenn sie bewiesen hätte, dass die Therapie im massgebenden Zeitpunkt unzweckmässig, unwirksam oder unwirtschaftlich war. Die Zweckmässigkeit erschien unstrittig, zumal es sich beim Lipödem um ein Leiden mit Krankheitswert handelt. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Therapie war aufgrund der (im relevanten Zeitpunkt bestehenden) Studien weder der Nutzen hinreichend belegt, noch ergab sich daraus, dass die Methode schädlich oder unwirksam wäre. Bei dieser Rechtslage – so das Bundesgericht – hätte der Fall eigentlich an die Swica zurückgewiesen werden müsen, damit sie zu den Fragen der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit ein fachspezifisches Gutachten einholt. Das Bundesgericht verzichtete aber eine solche Rückweisung, weil davon auszugehen sei, dass die spätere Aufnahme der Behandlung als Pflichtleistung auf die Positivliste (Anhang 1 KLV) per Juli 2021 nicht erfolgt wäre, wenn die Unwirksamkeit oder Unzweckmässigkeit nach dem für die Beurteilung des zu beurteilenden Falles massgebenden Wissensstand im Jahr 2019 bereits festgestanden hätte. Unter diesen Umständen bestehe für das Jahr 2019 hinsichtlich der Voraussetzungen der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit der Liposuktion bei Lipödem Beweislosigkeit, was sich zu Gunsten der Versicherten auswirke.
Das Bundesgericht hiess die Beschwerde letztlich dennoch nur teilweise gut und wies den Fall an das kantonale Gericht zurück, weil dieses in Bezug auf das dritte Kriterium – die Wirtschaftlichkeit der Therapie – keine verbindlichen Sachverhalts-Feststellungen getroffen hatte. Von den Abklärungen des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich in diesem Punkt hängt es somit nun ab, ob die Behandlung von der Swica übernommen werden muss oder nicht.
Das Bundesgericht ruft in seinem Urteil auf anschauliche Art in Erinnerung, dass es am Sozialversicherungsträger – hier die Krankenkasse Swica – und dem kantonalen Gericht ist, den Sachverhalt abzuklären und nötigenfalls ein externes Gutachten einzuholen. In der Praxis werden Leistungsablehnungen gerade von Krankenkassen immer wieder ohne gründliche Abklärungen – und oft bloss mit Verweis auf Beurteilungen von krankenkassen-internen fachfremden Vertrauensärzten – verfügt. Ein externes Gutachten wird gerade von Krankenkassen äusserst selten eingeholt. Im Fall der 53-jährigen Versicherten haben sich die mangelnden Abklärungen für einmal zulasten der Versicherung ausgewirkt. In anderen Fällen sind es oft die Versicherten, welche die Leidtragenden sind, wenn eine Versicherung nicht genügend abklärt und ein Leistungsanspruch damit unbewiesen bliebt.
Urteil BGer 9C_41/2022 vom 8. September 2022
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