Erlass einer Rückforderung von Ergänzungsleistungen nach einem Berechnungsfehler der EL-Stelle
Das Bundesgericht hatte im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Erlasses einer Rückforderung von unrechtmässig bezogenen Ergänzungsleistungen zu bejahen sind, nachdem die EL-Stelle einen Fehler in der Berechnung trotz mehrmaligen Neuberechnungen nicht erkannt und korrigiert hat. Im zu beurteilenden Fall bejahte das Bundesgericht die Voraussetzungen des Erlasses, was aber sehr von den konkreten Verhältnissen im Einzelfall und insbesondere der genauen Darstellung des Berechnungsblattes abhängt.
Im zu beurteilenden Fall wurde zwei minderjährigen Kindern zur Kinderrente zur IV-Rente des Vaters EL ausgerichtet, welche an die Mutter, in deren Haushalt die Kinder wohnten, ausbezahlt wurden. Die EL-Berechnung erfolgt immer mit Jahres- und nicht Monatsbeträgen, d.h. sämtliche Einnahmen und Ausgaben werden auf 12 Monate hochgerechnet, und erst zum Schluss wird der monatlich zur Auszahlung gelangende Betrag festgelegt.
In der hier zu prüfenden Berechnung wurden die Kinderzulagen jedoch irrtümlicherweise nicht mit dem Jahresbetrag, sondern nur mit dem monatlichen Betrag berücksichtigt. Es wurden nur Einnahmen von Fr. 500.00 anstatt richtigerweise Fr. 6’000.00 berücksichtigt. Dieser Fehler unterlief der EL-Stelle nicht nur bei der erstmaligen Leistungsfestsetzung, sondern auch im Rahmen von zwei darauffolgenden Neuberechnungen. Es wurden rund Fr. 13’000.00 zu hohe EL ausgerichtet. Nachdem die EL-Stelle diesen Fehler bemerkt hatte, forderte sie diesen Betrag bei der Mutter zurück. Die Mutter stellte in der Folge ein Erlassgesuch. Das Bundesgericht hatte mit dem vorliegenden Urteil zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für den Erlass der Rückforderung gegeben sind oder nicht.
Diese Voraussetzungen für den Erlass von Rückforderungen regelt Art. 25 Abs. 2 ATSG. Danach müssen Leistungen insbesondere in gutem Glauben empfangen worden sein, damit sie nicht zurückerstattet werden müssen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der gute Glaube als Erlassvoraussetzung nicht schon mit der Unkenntnis des Rechtsmangels / Fehlers gegeben. Der Leistungsempfänger darf sich auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben.
Der gute Glaube entfällt somit einerseits, wenn die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung auf eine arglistige oder grobfahrlässige Melde- oder Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist. Andererseits kann sich die rückerstattungspflichtige Person auf den guten Glauben berufen, wenn ihr fehlerhaftes Verhalten nur leicht fahrlässig war. Dabei beurteilt sich das Mass der erforderlichen Sorgfalt nach einem objektiven Massstab, wobei aber das den Betroffenen subjektiv Mögliche und Zumutbare (Urteilsfähigkeit, Gesundheitszustand, Bildungsgrad usw.) nicht ausgeblendet werden darf. Das Verhalten, das den guten Glauben ausschliesst, braucht nicht in einer Melde- oder Anzeigepflichtverletzung zu bestehen. Auch eine Unterlassung, sich bei der Verwaltung zu erkundigen, kann dazu führen, dass der gute Glaube entfällt.
Bei fehlerhaften EL-Berechnungen muss für die Frage des guten Glaubens insbesondere auch die Frage gestellt werden, ob die EL-beziehende Person das Berechnungsblatt nicht oder nur unsorgfältig kontrolliert hat und deshalb einen darin enthaltenen gravierenden, für sie leicht erkennbaren Fehler der EL-Stelle nicht meldet. Das Bundesgericht hatte im vorliegenden Fall also zu prüfen, ob die Mutter das Berechnungsblatt hinreichend geprüft hat und den Fehler in der Berechnung hätte erkennen können, d.h. ob es sich um einen offensichtlichen Fehler handelte und damit eine Meldepflichtverletzung vorliegen würde, wenn der Fehler der EL-Stelle nicht gemeldet wird.
Das Bundesgericht führte aus, dass im konkreten Fall aus dem EL-Berechnungsblatt nicht ohne weiteres zu entnehmen war, dass die Kinderzulagen in der tabellarischen Darstellung auf ein Jahr hätten umgerechnet werden müssen. Es fehlte nicht nur ein entsprechender Vermerk bei der Position „Kinder-/Familienzulagen“. Auch fehlte sowohl beim Abschnitt „Ausgaben“ als auch beim Abschnitt „Einnahmen“ ein textlicher Hinweis, dass es sich bei den Beträgen um Jahreszahlen handelt. Dass in diesem Sinne das Jahr die Berechnungsgrundlage bildet, wird erstmals nach der Auflistung sämtlicher Ausgaben und Einnahmen ganz am Ende des Berechnungsblattes erwähnt. Erst an dieser Stelle wird einer mit EL-Berechnungen nicht vertrauten Person klar, dass für den zu ermittelnden Anspruch auf Ergänzungsleistungen die Differenz zwischen den Ausgaben und Einnahmen „pro Jahr“ massgebend ist.
Gemäss Bundesgericht hätte die Mutter erst ein Blick auf die auf der zweiten Seite aufgeführten AHV/IV-und BVG-Renten allenfalls stutzig machen müssen, handelte es sich dabei doch offensichtlich um die Jahreszahlen. Da die Rentenleistungen und die Kinderzulagen indessen in keinem Zusammenhang stehen, ergab sich für die Mutter daraus nicht zwingend, dass auch bei den Kinderzulagen eine Umrechnung auf ein Jahr erforderlich gewesen wäre.
Aufgrund des nicht sehr übersichtlichen Aufbaus des Berechnungsblattes, insbesondere des Fehlens eines klaren und an der richtigen Stelle angebrachten textlichen Hinweises auf die Massgeblichkeit der Jahresbetreffnisse, konnte die Mutter nach dem Urteil des Bundesgerichts nicht ohne weiteres erkennen, dass die Kinderzulagen irrtümlich mit dem Monats- statt mit dem Jahresbetreffnis (d.h. mit Fr. 500.00 statt mit Fr. 6’000.00) in die EL-Berechnung einbezogen worden waren. Nach dem Bundegericht handelte es sich weiter auch nicht um einen gravierenden, leicht erkennbaren Fehler, da der Fehler nicht einmal von der EL-Stelle, welche mit dem Berechnungsformular bestens vertraut ist, selbst bemerkt wurde, und der EL-Stelle selbst mehrfach nicht auffiel, dass der Betrag von Fr. 500.00 bei den Kinderzulagen nicht stimmen konnte.
Das Erlassgesuch wurde folglich durch das Bundesgericht gutgeheissen, d.h. die Rückerstattung der unrechtmässig bezogenen EL-Leistungen entfiel. Die Voraussetzungen für den Erlass der Rückforderung ein einer fehlerhaften EL-Berechnung hängt zusammengefasst also sehr von der konkreten Darstellung der Berechnung und dem Verhältnis des falsch erfassten Betrages zu den weiteren Elementen der EL-Berechnung ab.
Das Bundesgericht führt weiter aber auch aus, dass es sich wohl anders verhalten würde, wenn eine Einkommensposition von mehreren tausend Franken überhaupt nicht ausgerechnet worden wäre. Das vollständige Fehlen einer Einkommensquelle müsste bei der Durchsicht des EL-Berechnungsblattes in der Regel sofort auffallen. Die EL-Berechnungen sind insbesondere für Laien vielfach unüberblickbar und auf den ersten Blick nur schwer zu verstehen. Eine genaue Kontrolle der Berechnung ist aber dennoch notwendig und wird durch die Rechtsprechung auch vorausgesetzt. Es ist also trotz dieses Urteils des Bundesgerichts in jedem Fall wichtig, jede EL-Berechnung genauestens zu kontrollieren, und bei Unklarheiten bei der EL-Stelle nachzufragen.
Urteil BGer 9C_318/2021
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