Entscheid über die Arbeitsunfähigkeit: Zuständigkeit bei der Invalidenversicherung

by Kaspar Gehring

Zum Sachverhalt

Seit BGE 141 V 281 sowie den Nachfolgeentscheiden werden bei psychosomatischen und psychiatrischen Leiden bei der Prüfung des Anspruchs auf eine Rente der Invalidenversicherung besondere Kriterien angewandt. Es sind systematisierte Indikatoren zu prüfen und dann – unter Berücksichtigung der leistungshindernden äusseren Belastungsfaktoren wie auch von Kompensationspotentialen (Ressourcen) – das tatsächliche Leistungsvermögen einzuschätzen. Die Grundlagen für diese Beurteilung sind von den medizinisch-psychischen Gutachten gemäss den entsprechenden Fragestellungen schaffen. Die Gutachter haben sich dabei auch zur Arbeitsfähigkeit zu äussern, welche jedoch letzthin von der rechtsanwendenden Stelle abschliessend zu beurteilen ist.

Diese Aufgabenteilung hat wiederholt die Frage aufgeworfen, ob nun der gutachterlich medizinischen Einschätzung, oder einer juristischen Einschätzung die Massgeblichkeit zu gewähren ist. Das Bundesgericht hat in verschiedenen Urteilen entschieden, dass eine juristische Parallelüberprüfung einer den Anforderungen des systematischen Beweisverfahrens entsprechenden gutachterlichen Einschätzung nicht zulässig ist, ohne jedoch die Grenzen näher zu beschreiben. Im Urteil 9C_808/2018 vom 2. Dezember 2019 (zur Publikation vorgesehen) hat das Bundesgericht nun entschieden, dass eine lege artis normorientiert erfolgte medizinische Einschätzung (bei welcher die medizinische Indikatorenprüfung vorgenommen wurde und in einer umfassenden Betrachtung ein stimmiges Gesamtbild schlüssig abgehandelt und nachgewiesen ist) nur aus triftigen Gründen von der rechtsanwendenden Stelle abgewichen werden kann. Als triftige Gründe wurde bezeichnet «wenn die medizinisch-psychiatrische Annahme einer Arbeitsunfähigkeit letztlich, im Ergebnis unter den entscheidenden Gesichtswinkel von Konsistenz und materieller Beweislast der versicherten, rentenansprechenden Person zu wenig gesichert ist und insofern nicht überzeugt» (E. 4.3). Soweit ärztlicherseits in Gutachten oder Berichten also substantiiert dargelegt wurde, aus welchen medizinisch-psychiatrischen Gründen das funktionelle Leistungsvermögen und die psychiatrischen Ressourcen in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hinsicht eingeschränkt sind, darf vonseiten der Rechtsanwendung nicht von der gutachterlichen Einschätzung abgewichen werden. Das ist hingegen dann möglich, wenn allein im Gutachten vom psychiatrischen Geschehen direkt auf die Arbeitsunfähigkeit geschlossen wurde. Es muss dargetan werden, inwieweit wegen der erhobenen Befunde (wie z.B. Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Antriebsschwäche und Müdigkeit) die beruflich-erwerbliche Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist.

Fazit

Das Bundesgericht ist sehr bemüht, die Grenzen der juristischen Parallelüberprüfung zu schärfen. Schlussendlich ist und bleibt jedoch die Beurteilung der Leistungsfähigkeit mit einem erheblichen Ermessensbereich verbunden, dem auch noch so klare Abgrenzungen nicht begegnen können. In diesem Sinne darf man also auf die weiteren Urteile und Entwicklung in diese Richtung gespannt sein.

Link zum Urteil des Bundesgerichts BGer 9C_808/2018 vom 2. Dezember 2019

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