Wiedereingliederung nach Alter von 55 Jahren: Sind die Versicherten auf sich allein gestellt?
Einer der wichtigsten Grundsätze im Invalidenversicherungsrecht ist derjenige der «Eingliederung vor Rente». Das gilt nicht nur bei der Erstzusprechung, sondern auch bei der Herabsetzung von Renten. In der Praxis wird von Seiten der Invalidenversicherung und der Gerichte oftmals der Grundsatz der «Selbstwiedereingliederung» postuliert. Das bedeutet, dass die versicherten Personen selber um die Wiedereingliederung bemüht sein müssen. Eine Ausnahme gilt, wenn eine Rente revisionsweise herabgesetzt oder aufgehoben werden soll und die versicherte Person bereits mindestens 15 Jahre die Rente bezogen oder wenn sie das 55 Altersjahr zurückgelegt hat.
Zu beurteilen war vor Bundesgericht (Urteil BGer 8C_494/2018) kürzlich der Fall eines selbstständigen Gipsers, dem für den Zeitraum vom 1. Dezember 2014 bis 31. Juli 2015 temporär eine ganze Invalidenrente zugesprochen wurde. Im Zeitpunkt der Rentenzusprechung war der Versicherte bereits mehr als 55 Jahre alt. Das Bundesgericht hat entschieden, dass in diesem Fall die Invalidenversicherung zur Wiedereingliederung des Versicherten verpflichtet ist und sich nicht auf dessen «Selbstwiedereingliederungspflicht» berufen kann. Die rückwirkende Zusprechung einer Rente mit gleichzeitiger Befristung muss nach Ansicht des Bundesgerichtes nach den Regeln, wie sie bei der Revision eines bestehenden Rentenanspruchs angewendet werden müssen, beurteilt werden.
Einen wichtigen Punkt hat das Bundesgericht jedoch noch nicht entschieden, nämlich welches für die Ermittlung des Eckwertes des 55. Altersjahres der massgebliche Zeitpunkt sein soll. In Frage kommen der Zeitpunkt der Verfügung oder derjenige der darin verfügten Rentenabstufung oder –aufhebung oder dann der Zeitpunkt des Feststehens der entsprechenden medizinischen Zumutbarkeit der Eingliederung. Im vorliegenden Fall hat der versicherte Beschwerdeführer bezogen auf all diese Zeitpunkte das 55. Altersjahr bereits überschritten, weshalb das Bundesgericht nicht zwingend darüber entscheiden musste, welcher Zeitpunkt massgeblich ist. Wie so üblich in solchen Konstellationen hat das Bundesgericht deshalb diese Frage nicht entschieden, was eine erhebliche Rechtsunsicherheit offen lässt. Bleibt zu hoffen, dass diese Rechtsunsicherheit bald behoben wird.
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